Mein heimliches Auge ist 8. Die aktuelle Ausgabe des erfolgreichen und immer wieder überraschenden schwulen Jahrbuchs der Erotik wurde von QWIEN gelesen.
Als vor mehr als 25 Jahren der erste Band des Jahrbuchs für Erotik Mein heimliches Auge erschien, hatten endlich alle stolz polysexuell Perversen ein Medium gefunden. Auch Schwules fand sich von der ersten Ausgabe an in diesem queeren Sammelwerk, das schon Geschlechts- und Gendergrenzen in Frage stellte, bevor es dafür das akademische Label gab. Der große Erfolg der Anthologie, die von Jahr zu Jahr in Auflage und Umfang wuchs, ließ den Tübinger konkursbuch Verlag von Claudia Gehrke neue Geschäftsideen entwickeln und so gibt es seit einigen Jahren regelmäßig mein lesbisches Auge und Mein schwules Auge, das auch in diesem Jahr von den schon bewährten Herausgeberteam Axel Schock für die Texte und Rinaldo Hopf für die Bilder zusammengestellt wurde. Wie immer ist die Mischung auf den ersten Blick bunt, Essays stehen neben pornografischen Texten, Comics neben schicker Aktfotografie, eingestreute Gedichte, Collagen, Pornobilder,… – die einzige zusammenhaltende Klammer ist schwuler Sex in seinen vielgestaltigen Varianten von hart bis zart, von kerlig bis queer, von SM bis zu lustvollen Erinnerungen an vergangene Zeiten. So erinnert sich Rinaldo Hopf an Cruising-Ausflüge in den frühen 1980er Jahren, die ihn in die Parks der Welt führten, oder Christoph Klimke erinnert wieder einmal an den heute wieder mehr denn je aktuellen Konsumkritiker Pier Paolo Pasolini, oder Dino Heicker lässt schwule Vampire wieder auferstehen.
Bekannte Autoren wie Fabian Kaden, Rosa von Praunheim, Peter Rehberg oder Mario Wirz stehen neben neuen Namen, gemeinsam ist ihnen, dass alle Texte Erstveröffentlichungen sind oder für Mein schwules Auge geschrieben wurden. Ähnlich bei den Illustrationen, die eigenständig neben den Texten stehen und manchmal einen interessanten inhaltlichen Gleichklang, dann aber auch wieder einen spannenden Gegensatz zu den nebenstehenden Texten darstellen. Auch hier ist die Liste der Namen illuster. Bruca LaBruce steht neben Anthony Gayton, „unser“ Sepp of Vienna neben dem ebenfalls in Wien lebenden Neil Curtis, der mit seinen Körperbemalungen weit über die Szene hinaus bekannt ist. Aus der Fülle an Beiträgen hervorheben möchte ich noch ein Interview mit Manvendra Singh Gohil, dem ersten Prinzen einer hinduistischen Fürstenfamilie aus dem westindischen Rajpila, der sich öffentlich zu seiner Homosexualität bekannte und der sich seither in seinem Land, in dem Schwulsein bislang ein Tabu war, gegen Homophobie und für HIV- und Aids-Prävention einsetzt. Für uns als Historiker besonders spannend war natürlich Jens Doblers Geschichte über „Muthwillige Buben im Tiergarten“, in dem er von der ersten Erwähnung von Berlins beliebtestem Cruising-Park als Begegnungsstätte schwuler Männer berichtet. Bereits im Jahr 1850 konnte man in der Allgemeinen Gerichtszeitung von „Abscheulichkeiten“ lesen, zu denen für den Autor „vor allen Dingen der unsittliche Umgang der Männer unter einander“ zählte. Hätten wir so einen Bericht über den Wiener Rathauspark! Das offene Konzept der Reihe steht dafür, dass auch sexuelle Fantasien, die abseits des sexuellen Mainstreams stehen, Aufnahme finden. Auf über 300 ausgiebig bebilderten Seiten ist dafür Platz. Ein Text irritiert allerdings. Der Herausgeber Axel Schock hat aus Verhörprotokollen des Massenmörders Fritz Haarmann einen Text gezimmert, aus mehreren Hundert Seiten hat er sich die „saftigsten“ Passagen herausgesucht. So wird aus dem Geständnis eines Knabenmörders eine SM-Phantasie, vor allem in dem Unfeld, in dem sie publiziert ist. Mögen die anderen Geschichten des Bandes noch so abgedreht sein, es handelt sich bei ihnen allen um Produkte der Fantasie. Schocks Text ist aber aus dem Geständnis realer Morde montiert. Auch wenn sich der Text durch die Grausamkeit der erzählten Mordabläufe selbst richten mag, in einem fantastischen Bilderbuch über sexuelle Fantasien hat er nichts verloren.
Mein schwules Auge 8 Hrsg. v. Rinaldo Hopf (Bild) & Axel Schock (Text) konkursbuch Verlag Claudia Gehrke ISBN: 978-3-88769-398-5 Erhältlich bei Buchhandlung Löwenherz Webtipp: konkursbuch Verlag