Als wohlfeile Taschenbücher sind eben zwei Werke erschienen, die unterschiedlicher nicht sein könnten, und doch erzählen sie beide von einer Liebe, die alle Widerstände überwindet. Angela Steideles großartige Geschichte einer Liebe über die Beziehung von Adele Schopenhauer und Sibylle Mertens und Patti Smiths Just Kids, die Geschichte ihrer Freundschaft, wie es im Untertitel heißt (es sollte Liebe heißen), wurden von QWIEN gelesen.
Es war Liebe, fast auf den ersten Blick. Beide, aus der Enge ihrer Familien geflohen, waren auf der Suche nach einem neuen Leben, einem Leben mit Kunst und für Kunst, für die Sprache, die Malerei, schlussendlich für die Fotografie und die Musik: Patti Smith und Robert Mapplethorpe. Sie lernten sich im Sommer 1967 in New York kennen, beide bettelarm, versuchten sie sich zu helfen, den Anderen bei seinen künstlerischen Visionen zu unterstützen. Ihre auch stürmische Liebesbeziehung führte sie ins legendäre Chelsea Hotel, wo sich Popstars und KünstlerInnen aller Sparten einmieteten. Es waren vibrierende Jahre, Flower Power und Pop Art, Andy Warhol als Star über allem, aber auch die Aufbruchsjahre der Schwulen- und Lesbenbewegung in den Jahren nach Stonewall. Patti und Robert tauchen ein in dieses kreative Umfeld, entwickeln sich aber künstlerisch auseinander. Entstehen frühere Arbeiten der beiden mitunter auch in Kooperation, so wendet sich Patti immer mehr der Dichtung und schließlich der (Punk)Musik zu, während Robert zum Star- und Skandalfotografen der 1980er wird. Zärtlich beschreibt Patti Smith trotz aller persönlichen Verletzungen, die sie offen bekennt, das Erwachen von Roberts schwulem Begehren. Obwohl sie ihren Freund und Geliebten Robert in allem unterstützen wollte, verletzte sie sein schwules Coming Out. Was gaben ihm Männer, das ich ihm als Frau nicht geben konnte, fragte sich Patti Smith damals. Heute konfrontiert sie uns dadurch mit ihrem Bild und Wissen von schwulen Männern, das von vielen Vorurteilen der Zeit geprägt war. Aber sie folgt Robert weithin in inniger Freundschaft, obwohl sie sein Eintauchen in SM-Fantasien nicht nachvollziehen kann. Im Erfolg trennen sich die Wege immer weiter voneinander, bis Robert an Aids erkrankt. Der Abschied von Robert ist der berührendste Teil von Just Kids„und zeigt die große Poetin Patti Smith. Jahre hat es gedauert, bis sie die Klage um ihren Freund und Geliebten in Worte fassen konnte, die sie auch einer Öffentlichkeit preisgeben wollte. Just Kids ist das Zeugnis dieser Liebe, auch Vermächtnis, melancholisch schön, aber auch voller Witz und Lebensmut.
Der Lebensmut verließ Adele Schopenhauer und Sibylle Mertens mitunter, wenn äußere Widerstände ihre gemeinsame Lebensplanung ins Wanken brachte. Gleich zu Beginn ihrer tief in die deutsche Kultur- und Literaturgeschichte eintauchenden Biografie legt die Autorin Angela Steidele die frauen- und lesbenfeindlichen Motive früherer Biografien und Lebensbeschreibungen offen. Es durfte nicht sein, was es nicht geben durfte: Frauen, die Frauen begehrten.
Als Schwester des Philosophen Arthur Schopenhauer, selbst als Schriftstellerin zu Lebzeiten erfolgreicher als ihr misogyner Bruder, war Adele schon früh Opfer abfälliger Bemerkungen, insbesondere ihre Beziehung zu Sibylle Mertens betreffend, die selbst als Archäologin und Althistorikerin in Fachkreisen große Anerkennung genoss. Adele verliebte sich schon als junge Frau in Ottilie von Goethe, der Schwiegertochter des Weimarer Geheimrats, und verkehrte mit dem bewunderten Dichter fast freundschaftlich. Sie sollte ihm brieflich auch von ihrer späteren Liebe Sybille Mertens berichten, denn bei Ottilie, die „hoffnungslos“ heterosexuell war, war platonische Freundschaft das äußerste. In Sybille fand Adele für einige Zeit vorerst diese vollkommene Liebe. Doch war die Mertens reich, unabhängig und untreu. Mit einer Vielzahl an Zitaten aus Briefen und Tagebüchern gespickt, öffnet Angela Steinele ein verschüttete Geschichte der Frauenliebe, die sich noch nicht lesbisch nannte, die noch keine Worte für ihr Begehren hatte, das aber von der Umwelt als Unrecht und gefährlich für den Bestand der Gesellschaft eingestuft wurde. Gespannt folgt man der Autorin, wie sie langsam ein Netzwerk von Frauen entstehen lässt, das seinen Kristallisationspunkt in Mertens und Schopenhauer haben. Neben der schon erwähnten Ottilie von Goethe gehörten dazu die heute noch als Schullektüre beliebte Annette von Droste-Hülshoff oder die englische Frauenrechtlerin Anna Brownell Jameson zu diesem Netzwerk, das sich von Weimar über Bonn und Köln bis Italien, dem großen Sehnsuchtsland von Adele und Sibylle, erstreckte.
Gemeinsame Monate in Rom hatten die Hoffnung aufkeimen lassen, dass sie ihren Lebensabend in dieser geschichtsträchtigen Stadt verbringen könnten. Als Sibylle Mertens aus Geldgier von ihren Kindern geklagt wurde, musste sie ihre Italienpläne zurückstecken. Die Kinder hatten wohl auch etwas gegen den „Lebenswandel“ ihrer Mutter einzuwenden, obwohl man keine konkreten Vorwürfe formulierte. Sie hatten noch keine Sprache für das Leben, das ihre Mutter führte, wie auch die beiden Frauen keine Bezeichnung für Ihre Beziehung hatten. Adele wurde mit ihrem Einfluss auf die Entscheidungen Sibylles zu einem mächtigen Feindbild. Als sich Adeles Unterleibsleiden verschlimmerte, war an Reisen nicht mehr zu denken. 52-jährig starb Adele in den Armen ihrer Lebensliebe, ohne den geliebten Süden wiedergesehen zu haben. Nach dem Tod Adeles schöpfte Sibylle Mertens vor allem aus ihrer Begeisterung für die Antike neue Kraft, ihre Sammlung an Antiken – sie war eine europaweit gesuchte Expertin für Numismatik und Gemmen – wurde aber von ihren gierigen Erben nach ihrem Tod in alle Winde verstreut. Mit Akribie sammelte Steidele Lebenszeugnisse der Frauen im Umkreis von Adele und Sybille, las sie gegen den Strich einer männlichen Literatur- und Geschichtswissenschaft und schuf damit eine spannende und in der Fülle an Dokumenten beeindruckende Biografie einer Lebensliebe, die lange Zeit keine Darstellung finden konnte, weil das Sprechen über sie tabuisiert war. Gleichzeitig ist Steideles Geschichte einer Liebe inzwischen teilweise zu einer Primärquelle geworden, denn viele originale Briefe, Tagebücher und Aufzeichnungen sind beim Einsturz des Kölner Stadtarchivs 2009 teilweise oder ganz vernichtet worden.
Patti Smith: Just Kids. Die Geschichte einer Freundschaft. Übersetzt von Clara Drechsler und Harald Hellmann Frankfurt: Fischer Taschenbuch 2011
Erhältlich bei Buchhandlung Löwenherz
Angela Steidele: Geschichte einer Liebe. Adele Schopenhauer und Sibylle Mertens, Berlin: Insel Taschenbuch 2011
Erhältlich bei Buchhandlung Löwenherz
Webtipp: Informationen zur Autorin Angela Steidele von der Website des Suhrkamp Verlags