Die neue Biografie über Christa Winsloe und die Wiederveröffentlichung ihres Romans Das Mädchen Manuela hat Ines Riederfür QWIEN gelesen. Schön, dass es jetzt eine Biografie zu Christa Winsloe gibt – mit vielen Bildern und vielen Einzelheiten aus ihrem Leben, die bis jetzt nicht an einem Ort lesbar waren. Eine gute Möglichkeit Christa Winsloe anders als nur als Autorin des Lesbenklassikers Mädchen in Uniform kennen zu lernen. Und wer dann auch Christa Winsloes Roman Das Mädchen Manuela liest, kann sich am zeitlos modernen Stil erfreuen und sich einen festen Platz für die Autorin im literarischen Kanon wünschen. Über die Christa Winsloe, die in den späten 1920er Jahren zwischen Berlin und München pendelte und zuerst das Theaterstück schrieb, welches die Grundlage des Films wurde, war ja schon einiges aus diversen Quellen bekannt. Die Schauspielerin Hertha Thiele, die die Manuela in der ersten Version von Mädchen in Uniform spielte, hatte im Herbst 1980 Karola Gramann und Heidi Schlüpmann ein langes Interview gegeben, welches in Nr. 28 von Frauen und Film, 1981 publiziert wurde. Dieses Interview war für mich der erste Zugang, nicht nur zu der Drehgeschichte des Films, sondern auch zu Christa Winsloe. Eine weitere Quelle – etwa zehn Jahre später – war die intensive Lektüre über und von Dorothy Thompson, mit der Christa Winsloe ab Januar 1933 Jahre eine längere Liebesbeziehung hatte. Dass diese Liebesbeziehung ihren Anfang bei einem geselligen Neujahrstreffen am Semmering ihren Ausgang fand, beschreibt Doris Hermanns ausführlich, worauf sie jedoch keinen Bezug nimmt, ist die jahrelange Freundschaft der Wiener Pädagogin Eugenie Schwarzwald mit Dorothy Thompson und dass sich in ihrem Salon in der Wiener Josefstadt Christa Winsloe und Dorothy Thompson immer wieder getroffen hatten. Auch der Semmering Aufenthalt – der Semmering war bis 1938 ein zentraler Schauplatz für lesbische Begegnungen – geht auf eine Empfehlung Eugenie Schwarzwalds zurück. Außer den mir bekannten Geschichten, füllt jetzt Doris Hermanns, die Lücken des vorigen und weiteren Lebenswegs Christa Winsloes. Die enge Beziehung die Christa Winsloe zu ihrer Schwägerin Irén Hatvany Zeit ihres Lebens pflegte, sei hier nur als ein Beispiel angeführt. Besonders interessant für mich, vor allem wegen der vielen Details – die auch andere lesbische Bezugspunkte herstellen – Christa Winsloes Leben in München. Da waren viele Künstler_innen zu Gast und wenn auch nicht selbst lesbisch oder schwul – war es eine durchaus homofreundliche Umgebung und Atmosphäre. Winsloe und Wien Wenn es um Christa Winsloes Werk und Wirken geht, hätte ich mir gewünscht, dass Doris Hermanns mehr lesbotextuale Zusammenhänge hergestellt hätte. Auf welchen Bühnen wurden Christa Winsloes Stücke gespielt, wie wurde darüber berichtet, welche Schauspielerinnen glänzten in spezifischen Rollen. Ein Beispiel wäre die Aufführung von Gestern und Heute – so der Name des Theaterstücks, Vorläufer zum Film Mädchen in UniformFilm – am Deutschen Volkstheater in Wien im Mai 1931, die ein großer Erfolg war. In den Hauptrollen glänzten Sibylle Binder als Lehrerin Fräulein von Bernburg und Eva Geyer als die Schülerin Manuela. Über Sibylle Binder, die aus ihren Frauenbeziehungen kein Geheimnis machte, schrieb die Presse dann auch, dass sie ,,die krankhafte Verwirrung … beinahe als eine Art Tugend hinstellt“.
Dass Christa Winsloe 1944 in Cluny einen gewaltsamen Tod gefunden hat, war auch bekannt – aber auf die genaueren Umstände wirft Doris Hermanns jetzt Licht. Außerdem lese ich zum ersten Mal über Christa Winsloes Leben nach Ausbruch des Zweiten Weltkriegs und was sie in ihren letzten Lebensjahren gemacht hatte. Doris Hermanns hat viele Fotos, Zeitungsausschnitte und Kunstwerke Christa Winsloes aufgespürt, sowie Kontakt mit Leuten hergestellt, die persönliche Informationen über die Autorin haben. Leider ist nicht sehr viel persönliches erhalten geblieben – keine Tagebücher, keine Korrespondenz – die in Christa Winsloes Fall sicher reichhaltig und weitverzweigt gewesen sein muss – dafür befinden sich im Nachlass, der in Berlin bei Renate von Gebhardt liegt, zahlreiche unveröffentlichte Manuskripte, die vielleicht eines Tages der Allgemeinheit zugänglich gemacht werden. Bis es soweit ist, ist es gut, dass wir Dank Doris Hermanns Biografie die Möglichkeit haben auszugsweise Einblick in das unveröffentlichte Werk Christa Winsloes zu bekommen. Lesenswerter Klassiker Für die Neuauflage von Christa Winsloes Roman Das Mädchen Manuela hat Doris Hermanns ein Nachwort verfasst, in dem sie beschreibt, wie aus dem Theaterstück Ritter Nérestan das Theaterstück Gestern und Heute (unter diesem Titel die oben erwähnte Aufführung am Wiener Volkstheater) wurde. Darauf basierend wurde dann der Film Mädchen in Uniform gedreht und erst nach dessen Welterfolg entstand 1933 der Roman. Immer wieder wurde dieser Roman nach dem Zweiten Weltkrieg neu aufgelegt – und diese Neuauflage des Berliner Verlags Krug&Schadenberg wird sicherlich nicht die letzte sein. Das Interesse an den Erziehungsmethoden der vorigen Jahrhunderte ist ungebrochen – siehe z.B. Michael Hankes Das weisse Band – liefern sie doch einen Teil der Erklärung für die persönlichen Umstände früherer Generationen, sowohl wie auch die politischen Konsequenzen, die aus solchen autoritären Modellen resultieren. Christa Winsloes Manuela ist ein lebhaftes, neugieriges Mädchen, welches nach dem frühen Tod der verständnisvollen Mutter in eine strenge preußische Erziehungsanstalt für Offizierstöchter gesteckt wird, um dort mit harten Methoden zu einer zukünftigen Soldatengattin und –mutter gedrillt zu werden. Dass sie dort in Liebe zu Fräulein von Bernburg, der einzigen Erzieherin, die ihre Zöglinge wie Menschen behandelt, entbrennt, ermöglicht ihr den Internatsalltag zu ertragen.
Im Gegensatz zu vielen Romanen aus der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts, die heute wegen ihrer Schwülstigkeit kaum lesbar sind, besticht Christa Winsloe mit ihrer klaren Sprache. Aber auch der Austausch zwischen den Protagonistinnen ist offen und legt das lesbische Begehren Manuelas klar da. Die Szene wo Fräulein von Bernburg Manuela über ihre Regel aufklärt und in der Manuela die geliebte Erzieherin fragt, ob sie glücklich sei. Wenig später erklärt Manuela dann, dass sie „ein Junge sein will, ich hasse es, ein Mädel zu sein. Ich mag meine Haare nicht und meinen Rock, zu Hause habe ich immer Hosen getragen, wenn ich mit meinem Bruder geturnt habe, und am liebsten trüge ich sie immer… Ich mag keine Frau werden – ich möchte ein Mann sein und immer für Sie da sein, Fräulein von Bernburg.“ Auch die Szene, in der Manuela Fräulein von Bernburg ihre Liebe gesteht: „Ich liebe Sie, liebes Fräulein von Bernburg… Wenn ich Ihre Hände sehe, zieht es mich hin, sie zu fühlen. Ihre Stimme, wenn Sie rufen, packt mich, reißt mich – ich kann nichts dafür, ich liebe, liebe Sie…“ Und obwohl Fräulein von Bernburg keinem Kind den Vorzug geben darf, versichert sie Manuela, dass sie sie sehr lieb habe und dass sie immer zu ihr kommen dürfe. Christa Winsloes Mitschülerin, die das Vorbild für Manuela war, ist in Wirklichkeit aus dem letzten Stock des Internats gesprungen und war für den Rest des Lebens hüftlahm, das Mädchen Manuela im Film wurde von ihren Mitschülerinnen vom Sprung abgehalten, und im Roman liegt Manuela auf den Steinstufen, als Fräulein von Bernburg herbeigeeilt kommt und ihre Hand auf Manuelas Herzen legt, ist es still. „Das Haus ist erstarrt. Niemand spricht. Niemand drängt sich herzu. Man läßt die beiden allein: Fräulein von Bernburg und Manuela.“ Ich habe jetzt die beiden Bücher in der Reihenfolge beschrieben, in der ich sie gelesen hab, kann mir aber gut vorstellen, dass eine Umkehr dieser Folge durchaus Reize hat und die Neugierde auf die Biographie der Autorin nach dem Lesen einer ihrer Roman gesteigert wird.
Doris Hermanns: Meerkatzen, Meißel und das Mädchen Manuela. Die Schriftstellerin und Tierbildhauerin Christa Winsloe. Berlin: AvivA 2012 (erhältlich bei Löwenherz)Christa Winsloe: Das Mädchen Manuela. (Der Roman zum Film Mädchen in Uniform). Berlin: Krug & Schadenberg 2012 (erhältlich bei Löwenherz)