Zu Beginn des Jahres – genau am 29. Jänner – jährte sich der Todestag von Herman Bang zum 100. Mal. Die Bibliothek rosa Winkel ehrt den dänischen Autor mit der Wiederauflage seines „schwulen“ Romans Michael.
Die nach Jahrestagen gierende Buchindustrie hat den Todestag von Herman Bang geflissentlich übergangen, nur im zum Verlagskonzern Random House gehörenden Manesse Verlag erschien eine Neuübersetzung seines Romans Tine und der Deutsche Kunstverlag brachte eine vielgelobte Bildbiografie (siehe QWIEN Rezension). Und ja, die verdienstvolle Reihe für historische schwule Texte, die Bibliothek rosa Winkel, druckte eine, wie immer mit informativem Nachwort versehene, Neuausgabe von Michael, der zur Zeit seines Erscheinens 1904 von der Kritik überwiegend positiv aufgenommen wurde, heute aber hauptsächlich als Vorlage für die bildgewaltige Verfilmung durch Carl Theodor Dreyer bekannt ist. Für die Verhältnisse der Zeit lebte Herman Bang seine Homosexualität verhältnismäßig offen, er war ein begnadeter Dandy, liebte die Pose, wurde aber auch von dänischen Schriftstellerkollegen und der Presse wegen seiner sexuellen Orientierung angegriffen. So ist Michael ein ambivalentes Buch, ein schwuler Roman, bei dem man das Begehren zwischen den Zeilen lesen muss. Bang lässt seine unglückliche Liebesgeschichte in der Welt der Kunst spielen. Claude Zoret ist ein in Paris lebender erfolgreicher Maler, er wird von Allen hofiert, von Kunsthändlern, Kritikern und Damen der Hautevolée, die sich von ihm porträtieren lassen wollen. Er lebt mit Michael, einem ausgesprochen hübschen Jüngling, dem die gesellschaftlich anerkannte Rolle des Ziehsohns zugewiesen ist, in trauter Innigkeit. Daneben ist Michael auch sein bevorzugtes Modell und Quelle seiner Inspiration. Bis eines Tages eine schöne russische Adelige auftaucht, der Michael zusehends verfällt. Er lässt seinen alternden Meister, der in eine Schaffenskrise stürzt, alleine zurück, verprasst Zorets finanzielle Zuwendungen mit der Geliebten und beginnt ihn zu betrügen, um seinen aufwändigen Lebenswandel zu finanzieren und die wirtschaftlich ruinierte Fürstin zu unterstützen. Aber selbst als er ein intimes Geschenk, Zorets Meisterwerk Der Sieger, das Michael nackt in heroischer Pose zeigt, verkauft, reagiert der Maler mit Liebe. Er kauft das Bild zurück und lässt es wieder in Michaels Boudoir, in dem er sich mit seiner Geliebten vergnügt, aufhängen. Doch Michael stösst Zoret zurück.
Noch einmal rafft sich Claude Zoret auf, er beginnt den Hiob zu malen und schafft es ein letztes Mal, die Kunstwelt zu begeistern, doch bei der Präsentation des Werkes, zu der tout Paris vorbeikommt und in Entzücken ausbricht, lässt sich Michael nicht blicken. Enttäuscht und vereinsamt, verhärmt und entkräftet, streckt Zoret ein Schlaganfall nieder und obwohl sich auch zu seinem Ende Michael nicht an seinem Krankenbett einfindet, macht ihn der Meister zu seinem Universalerben. Sehr zur Enttäuschung seines Agenten Charles Schwitt, der ihn verehrt und heimlich liebt. „Herr Michael, der Meister ist tot“, wird er dem Verschwundenen zum Balkon seiner Villa hinaufrufen. „Es klang wie ein Steinwurf gegen ein geschlossenes Fenster.“ Und trotzdem liegen die Sympathien Bangs bei Michael und das spürt man, denn der Titelheld ist im Roman trotz häufiger Abwesenheit immer präsent und übt eine eigenwillige Faszination aus. In einer Art literarischer Selbstanalyse gibt sich Bang zu erkennen: „Eugène Michael ist nicht nur stark wie das Leben und der Trieb. Er ist mannigfaltig wie die Jugend […] und er bleibt siegreich wie die Jugend.“ Ihm gehört die Zukunft und das Begehren, dem jungen Sieger und nicht Claude Zoret, „der vom Schmerz Geschlagene, [der] mit dem langsamen Tode kämpft“, den so Bang: „So will es das Leben.“ Michael hinterließ vor allem bei homosexuellen Schriftstellerkollegen tiefe Eindrücke, so war Thomas Mann „schmerzlich ergriffen wie nur selten noch“ und für seinen Sohn Klaus zählte Bang zu den „Offenbarungen“ seiner Jugend. Nun kann er sich in dieser Neuausgabe vor einem neuen, jungen Lesepublikum bewähren. Herman Bangs Gedanken zum Sexualproblem, die er 1909 niederschrieb und die der Herausgeber Wolfram Setz in den Anhang zur Michael-Edition aufnahm, hätte man diese Bewährung ersparen sollen. Verschiedene Theorien der Zeit aufgreifend versucht er sich seinen Reim auf seine Homosexualität zu machen und macht dabei durchaus selbstbewusste Feststellungen, stellt etwa die Verführungstheorie mit Hausverstand in Frage: „Der N i c h t homosexuelle lässt sich nicht dauernd verführen.“ (Eine schmerzliche Erfahrung, die Bang am eigenen Leib erfahren musste.) Wenn er aber davon zu schwanern beginnt, dass Homosexualität „in einem sonderbaren und unerforschlichen Verhältnis zu künstlerischer Veranlagung steht“, ist die eingeschränkte Sichtweise Bangs ziemlich offensichtlich. So seien die „homosexuellen Schriftsteller merkwürdig zahlreich“, aber die „homosexuellen Schauspieler noch viel zahlreicher“, weil eben das „Zwitterwesen der Schauspielerei“ mit dem „Zwitterwesen der Homosexualität in enger Verbindung“ stehe.Hingegen stünden „Tenoristen […] mit keinem besonderen Recht“ im Ruf von Homosexualität. Von wishful thinking kann man hingegen wohl sprechen, wenn Bang davon schwärmt, dass in der Artistenwelt gerade „die Vertreter der anscheinenden männlichsten Berufe, Athleten, Ringkämpfer, Jockeis, starke Männer usw. am allerhäufigsten homosexuell“ seien. Auch wenn Herman Bang kein sonderlich origineller Theoretiker der Homosexualität wurde, als Autor ist er mit dieser Wiederauflage von Michael auf jeden Fall eine lohnenswerte Wiederentdeckung.
Herman Bang: Michael. Im Anhang: Gedanken zum Sexualitätsproblem. Nachwort von Wolfram Setz. Hamburg: Männerschwarm 2012 (Bibliothek rosa Winkel, Bd. 63) erhältlich bei Löwenherz]