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Stonewall in Wien – Before Stonewall: Günter Tolar

Meine Nacht im Gefängnis, weil ich einen Mann küßte
Wie gingen die Besucher der Alten Lampe vor 1971 mit dem Totalverbot um?
Es hatten fast alle Decknamen – die “Fliege”, die “Blume”, das “Täubchen” –  , damit man im Falle einer Razzia, einen anderen gar nicht kennt, nicht verraten kann. Das sind Dinge, über die man heute nicht mehr redet, aber das war damals so. Wir hatten im Schnitt einmal die Woche Polizei hier. Meisten schickten sie jüngere fesche Polizisten. Die standen meistens da vorne, tranken ihr Pflichtbier, schauten uns mit einem einprägenden Blick ungeheuer an, und gingen meistens grußlos und überbetont männlich wieder.  Dann kam die 68er-Bewegung, das hat sich dann in der so genannten “Uni-Ferkelei” entladen. Der Effekt war dann der, dass diese ganze sexuelle Befreierei bewirkte, dass wir die Polizei zwei-, dreimal pro Woche hier hatten. Man dachte sich wahrscheinlich, wenn der Sex schon ausbricht, dann fängt das hier an, weil wir ja so etwas wie eine Eiterbeule waren. Es war immer unangenehm, weil wir uns sehr wohlverhalten mussten, also nix Bussi-Bussi, sondern brav sitzen und so tun, wie wenn nichts wäre. Zwei oder vier Tage nach dieser Uni-Ferkelei hat mich der Teufel geritten.  Ich saß hier mit meinem damaligen Freund und habe ihm einen tiefen Kuss gegeben. Dann hatte ich schon die Hand eines Polizisten an der Schulter: “Das hättest du jetzt nicht tun dürfen, Burschi! Komm mit”. Die nahmen uns beide mit, draußen stand eine Funkstreife. In der Wehrgasse hat man dann ganz freundlich unsere Personalien aufgenommen und uns gesagt, wir müssten die Nacht da bleiben. Hinten hatten sie so eine Art Ausnüchterungszelle mit Sichtgittern. Man sperrte uns zu zweit ein. Das war meine Nacht im Gefängnis, weil ich einen Mann küsste. Stonewall war dann ein Jahr später. Davon haben wir ein bisschen durch die Zeitung und natürlich  durch Mundpropaganda erfahren. „Nach New York ins Village kann man auch nicht mehr fahren, weil jetzt ist dort auch überall die Polizei“, sagte man. Direkte Auswirkungen sind mir nicht bekannt.
Nach dem Selbstmord deines HIV positiven Freundes 1991 hast du in der Zeitschrift News und in einem Buch ein Coming-out gewagt.
Ich habe mich geoutet. Die Leute, die es wussten sagten: “Super, dass du dich traust”. Das etwas Problematischere für einen Fernsehmoderator war aber das breite Publikum. Die sind da etwas  erschrocken. Ich bin ja nicht der Prototyp, wie man sich einen Schwulen vorstellt. Schwule sind ja immer schön und gestylt. Ich war immer schon ein bisschen eine “Fetz’n”, schön war ich auch nie. Dadurch war der Schreck in der breiten Bevölkerung sehr groß, aber dann kam das Wort “eigentlich” ins Spiel. ich bin ja dann von einer Diskussionssendung zur anderen gereicht worden und die Leute fragten “Wieso?” Ich fragte dann: “Was hat sich denn geändert? Ich bin halt verliebt in meinen Mann. Was ändert sich jetzt?” und dann kam “Eigentlich ist es eh wurscht”.
Wie bist du in der SoHo gelandet?
Sofort nach meiner Pensionierung. So lange ich beim ORF mitgearbeitet habe, hätte ich mich gar nicht parteipolitisch betätigen dürfen. Raoul Fortner hat mich geschnappt und auf schnellstem Weg
zum Vorsitzenden der SoHo gemacht. Das war für mich der Sprung in die politische Betätigung. Als ich anfing, habe ich bemerkt, dass innerhalb der Partei noch einiges aufzuräumen ist. Wobei, wie in jeder traditionellen Bewegung mit Geschichte, fühlt man sich auch alten Werten verpflichtet. Ich habe in der Sozialdemokratie das komplette Spektrum vorgefunden. Totales dafür sein bis zu “Die sollen heiraten dürfen?” usw. Das haben wir über die Parteimechanismen schnell aufgeräumt, indem wir einfach alles, was wir wollten – Abschaffung § 209, Eingetragene Partnerschaft, all das – auf
dem Wiener Landesparteitag beantragt haben, und alles ist brav einstimmig angenommen worden. Darauf sind wir dann geritten. Auch beim Bundesparteitag, wo wir dieselben Anträge stellten – mit einer Gegenstimme aus Kärnten.
Wie sieht der pensionierte Günter Tolar die Zukunft der Lesben- und Schwulenbewegung?
Es gibt natürlich politische Richtungen, Strachismen, die sehr verbreitet sind, weil sie aus allen Lagern Stimmen sammeln, die alte Sachen wieder aufwärmen, zum Beispiel christliche Werte, in denen
Homosexuelle nach wie vor keinen Platz haben. Wenn man bedenkt, dass die Judenprobleme – möchte man meinen – vorbei sind, dass es das nicht mehr gibt, kann man trotzdem heute immer noch mit Antisemitismus Punkte machen. Das ist ein Kampf der lang bis nie aufhören wird. Wenn die legalen Voraussetzungen stimmen, sagen wir die totale Gleichstellung, dürfen wir uns trotzdem nie in Sicherheit wiegen.

Alle Interviews von „Stonewall in Wien“: https://www.qwien.at/stonewall-in-wien/

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