Kannst du dich an Stonewall erinnern?
In meiner frühen schwulen Zeit hab ich nichts davon gehört. Da war das kein Begriff für mich.
Wie ist man denn zu Informationen gekommen?
Über Freunde, die herumgereist sind und dann mit irgendwelchen Informationen nach Hause gekommen sind.
Du warst schon in der Verbotszeit aktiv? Hast du dieses Lebensgefühl noch mitbekommen?
Ja natürlich! Ich hab mit vierzehn meinen ersten fixen Freund gehabt. Der war 18 Jahre älter als ich und Lehrer. Ich hab das alles genau mitgekriegt, dass der jeden Moment abgeführt werden kann und praktisch mit zwei Füßen im Gefängnis steht. Und ich dazu.
Hast du die Anfänge der Schwulenbewegung und die Arena mitbekommen?
Ja, dadurch dass ich ab und zu zur HOSI in die Margaretenstraße [Anmerkung: ins Treibhaus] marschiert bin, habe ich natürlich ein bisschen was mitbekommen. Es hat sich ja sonst damals alles privat abgespielt, ein paar Lokale hat es gegeben. Im Quick haben wir einen Stammtisch gehabt mit der „Flickenschild“ und der „Archimeda“. Die waren damals ein Paar und haben die irrsten Bälle gegeben in Wien. Da wurde die Wohnung ausgeräumt und dann sind 50 Leute gekommen – und haben Ball gemacht, alle in Fetzen natürlich.
Den legendären Bal paré hast du auch besucht?
Ja, natürlich! Die ersten drei waren, glaube ich, im Parkhotel Schönbrunn.
Gab´s da kein Problem mit der Öffentlichkeit, mit dem Hotel, haben da alle mitgespielt?
Ja, die haben alle mitgespielt. War kein Problem. Die meisten Hotelzimmer waren eh ausgebucht, weil sich die Gäste umgezogen haben oder sich ein Zimmer für die Nacht genommen haben. Und dadurch waren ja auch kaum andere Gäste da. Ich glaub, die haben einen guten Schnitt gemacht mit uns damals. In der Zeit hab ich dann mehr Kontakt mit der HOSI gehabt und bin selber sozusagen vom Abendkleid in die Lederkluft gesprungen. Jede Woche ein anderes Ballkleid – das ist mir so was von auf den Geist gegangen!
Du hast dann begonnen, anderen die Lederkluft anzumessen.
Ich hab mich selbstständig gemacht, bin in die Graf-Starhemberg-Gasse gezogen – eigentlich nur, weil ich mich in ihren Keller verliebt hatte. Und ich dachte mir, was machst du mit dem? Und nachdem es in Wien eh keine Lokale gegeben hat, machten wir so was, wo man sich nach der Arbeit traf, bevor man dann weiterging. Da unten hatte ich auch, glaube ich, den ersten schwulen Sex-Shop. Also da bin ich wochenlang am Zoll gesessen und hab dem Zöllner erklärt, wozu man so große Dildos braucht. Ja, und ich hab dann Bier und andere Getränke zum Selbstkostenpreis hergegeben. Dann haben wir die LMC da unten gegründet und auch begonnen, erste kleine Touren zu organisieren. Das Ganze ist aber dann bald in eine ziemliche Vereinsmeierei ausgeartet. Und das brauchte ich wirklich nicht. Und dann hat auch der Stiefelknecht aufgesperrt und wir haben ein Ausweichlokal gehabt und meins wurde nicht mehr gebraucht.
Die Lederszene hat sehr früh auf die Aids-Krise reagiert, was Aufklärung und Prävention betrifft. Wie ist das eingesickert?
Leider sehr schnell. Man hat von den ersten Fällen gehört und dann, wie man sich schützen kann. Man hat versucht, Informationen zu kriegen. Und da gab’s relativ wenig. Da sich mein damaliger Freund auch infiziert hatte, ist die Aufklärung dann aber auch schnell gegangen. Und dann hat man halt auch jede freie Minute daran mitgearbeitet, Aufklärung zu verbreiten.
Alle Interviews von „Stonewall in Wien“: https://www.qwien.at/stonewall-in-wien/