Der Titel des auf zahlreichen Festivals erfolgreichen Dokumentarfilms kondensiert dessen Inhalt auf den absolut reduzierten Kern – Peter Kern, Schauspieler, Filmemacher, Enfant terrible, Nervensäge
„Über den wirklichen Peter Kern werdet ihr nichts erfahren“, schmettert der wortgewaltige Schauspieler und Filmemacher Veronika Franz und Severin Fiala entgegen, die das nicht leichte Unterfangen auf sich genommen haben, einen Film über das Enfant terrible des österreichischen Films zu drehen. Und er schaut dabei direkt in die Kamera und weiß, dass wir im Publikum uns jetzt ebenfalls angesprochen fühlen. Mitunter fragt man sich, warum man in diesem Film sitzt, will man Peter Kern dabei zusehen, wie er herrisch und cholerisch von seiner Putzfrau bis zu seinem Filmteam alle ohne Ansehen der Person aufs Unflätigste beschimpft.
Aber was ist Inszenierung, was ist Dokument? Man hat das Gefühl, dass sein Missmut durchblitzt, wenn er die Anweisung seiner Regisseurin zu alltäglichen Verrichtungen, das Abdrehen des Lichtschalters etwa, ausführt. Andererseits fragt man sich, ob es nicht nur die Anstrengung ist, die sich in Peter Kerns Gesicht spiegelt, wenn er seinen massigen Körper durch die engen Gänge seiner ärmlichen Wohnung in der Großfeldsiedlung wuchtet. Seine Wutausbrüche wirken echt, und doch sind sie auch Teil der öffentlichen Persona Peter Kerns. Ständig desavouiert Kern die Dreharbeiten zur Doku, mischt sich ein, schimpft über den konzeptlosen „Fuchtelfilm“, den man über ihn dreht, hinterfragt Einstellungen und Anweisungen. Das kann bis zum Wutausbruch gehen, wenn er es idiotisch findet, dass man ihn beim Kochen filmt. Tatsächlich erzählt die Szene „Kern beim Kochen“ nichts über die Persönlichkeit Kerns, der deshalb sich in Szene setzt und plötzlich wird in der engen Küche eine Geschichte von, mit und über Peter Kern erzählt. Vielleicht haben die Filmemacher_innen ja Kern nur klug provoziert.
Dezenz war nie Peter Kerns Sache, so wird er gleich zum Einstieg seine Liebesaffäre mit Leonard Bernstein los, mit dem es im Gartenhäuschen so richtig zur Sache ging: „Er spielte Klavier mit meiner Zunge!“ Kern lässt die Höhepunkte seiner Karriere Revue passieren, die große Zeit in der Entourage von Rainer Werner Fassbinder, seine Filme mit Daniel Schmid und eigene Filme zeigt er nicht ohne Stolz. Peter Kern hat einen unbeugsamen künstlerischen Willen, der mit einem Mainstream-Geschmack inkompatibel ist, was er aber auch gar nicht anstrebt. So ist es auch wenig verwunderlich, dass seinen Filmen meist wenig Erfolg an der Kinokasse beschieden ist. Unbeirrt, aber durch die chronische Geldnot behindert, setzt er seinen künstlerischen Weg fort. Störrisch, eigensinnig, einsam.
Und doch lässt sich im verhärmten Grantler auch ein sensibler Peter Kern finden, wenn er bei einer intimen Liebesszene aus seinem Film Knutschen, kuscheln, jubilieren leise zu weinen beginnt und seiner Sehnsucht, seinem Verlangen nach Zärtlichkeit freien Lauf lässt. Seine Verlassenheit in der Großfeldsiedlung berührt, wenn er von den Berührungen eines Strichers schwärmt. Erzählt er von der „Kuh Kern“, kaschiert er seine Verletzlichkeit mit Sarkasmus. Da sein fetter Leib in keinen Magnetresonanztomografen passte, wurde er in ein Gerät der Veterinärmedizinischen Universität geschoben, wie eine Kuh.
Die berührendste Szene des Films spiegelt wie kaum eine andere die Widersprüchlichkeit des Dokumentarfilms Kern aber auch des Schauspielers Peter Kern. In einer Totalen sitzt Peter Kern im Profil gefilmt nackt an seinem Schreibtisch. Kurz begehrt er auf, ob diese entwürdigende Szene, dieser unförmige Körper, unter dem er leidet, wirklich so schonungslos ins Bild gesetzt werden muss. Aber dann beginnt Kern leise und zart ein Lied zu singen und die Aura des Peinlichen verschwindet. In einem Akt der Selbstentäußerung dreht er sich frontal zur Kamera, ein Fleischberg, eine ausufernde Masse Mensch, und doch von unendlicher Zartheit und Verletzlichkeit. „Man muss sich überraschen lassen von der Liebe“, sagt Peter Kern einmal im Film, genauso wie sich das Kinopublikum von Kern überraschen lassen soll, dessen Protagonist mehr ist als ein polternder Selbstdarsteller ist, obwohl er das auch ist.
„Kern“ ab 1. März im Wiener Filmcasino
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