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Leselust II

Wie haben wieder mal einige Bücher aus unserem Stapel mit Neuerscheinungen herausgezogen und gelesen. Es ist zeimlich bunte Auswahl an Titeln, darunter ganz neue aber auch nicht mehr ganz druckfrische. Aber Alter ist bei Büchern sowieso keine Kategorie. Wir finden sie so spannend, das wir sie nachfolgend in Besprechnungen von Ines Rieder und Andreas Brunner vorstellen.
Simone de Beauvoir
Das Leben der französischen Philosophin, Autorin und Feministin Simone de Beauvoir war immer ein öffentliches, sei es, dass sie ihre offene Beziehung zu Jean Paul Sartre zur Schau stellte oder sich in ihrem umfangreichen biografischen Werk entblößte, das – so Ursula März nicht ohne Ironie – „ein kleines Regalbrett“ fülle. Wie beschreibt man ein Leben, das so prall war, so angefüllt mit Arbeit, Aktionismus, Protest und verschiedenen Liebesbeziehungen? Die Literaturkritikerin Ursula März stellt sich in einem biografischen Essay dieser Aufgabe und fasst ein Leben zusammen, in dem „jeder Gefühlswinkel, jede intellektuelle Entdeckung, jede Begegnung, (fast) jede Freundschaft, jeder Zweifel […] Text“ wurde. Ursula März gelingt es in ihrem recht knappen Text Leben und Werk von Simone de Beauvoir bündig darzustellen. Gleich zu Beginn postuliert sie über Beauvoirs berühmtestes Zitat – „Man wird nicht als Frau geboren, man wird es.“ -, dass mit diesem Satz „eine neue Epoche“ beginnt. „Es ist der Schlüsselsatz der Frauenemanzipation“, festgehalten in D„, einem unerhörten Werk, in dem erstmals eine Frau „über die Existenz- und Lebensweise von Frauen“ schrieb. Es mag einem heute gar nicht mehr so bewusst sein, wie radikal und neu das Denken von Simone de Beauvoir war – Ursula März macht es nachvollziehbar, wie sie sich auch den schwierigen persönlichen Kämpfen von de Beauvoir widmet, ihrer Beziehung zu Sartre, zu Nelson Algren aber auch zu Frauen, wobei sie hier in Wortwahl und Zuschreibung sehr vorsichtig ist. So ist Sylvie Le Bon, im Alter Stütze, Sekretärin und engste Vertraue, nach Sartres Tod auch Adoptivtochter von Simone de Beauvoir vor allem „Lebensbegleiterin“ und nur „mutmaßlich ihre Geliebte“. Wie bei allen Bänden der Reihe Leben in Bildern aus dem Deutschen Kunstverlag ist auch dieser mit zahlreichen, großformatigen Abbildungen illustriert.
Ursula März: Simone de Beauvoir. Berlin/München: Deutscher Kunstverlag 2013; erhältlich bei Löwenherz
Ein Vermächtnis
Der englische Schriftsteller Evelyn Waugh fragte 1956, nachdem er das soeben erschiene Buch A Legacy gelesen hatte, ob sich dahinter ein kosmopolitischer Colonel verbirgt, „dem die Preußen zuwider und die Juden sympathisch sind“. Er wurde von der Schriftstellerin Nancy Mitford aufgeklärt, dass es sich um die scheue, halb deutsche Sybille Bedford handle. Als das Buch zum ersten Mal publiziert wurde, war Sybille Bedford um die 40 und zwar international in Schriftsteller_innenkreisen bestens vernetzt, aber selbst noch nicht als Schriftstellerin in Erscheinung getreten. Das sollte sich in den über 50 nächsten Lebensjahren der Autorin – zumindest im anglo-amerikanischen Sprachraum ändern. Ihre feinen spannenden Bücher, in denen ihr abwechslungsreiches Leben autobiografisch verwertet wurde, erfreuten sich großer Beliebtheit. Für deutsche Leser_innen wurden ihre Werke erst in diesem Jahrhundert übersetzt und fanden große Anerkennung. Was die Autorin für lesbischwule Leser_innen spannend macht, ist die Tatsache, dass sie wie Evelyn Waugh richtig erkannt hatte, kosmopolitisch war und deren Sympathien nicht nur den Juden galt, sondern vor allem auch ihren schwulen Freunden und ihren lesbischen Freundinnen und Liebhaberinnen. Sie blieb bis ins hohe Alter eine wunderbare Gesprächspartnerin und Auskunftsgebende über die in der Zwischenzeit Verstorbenen. Die Frage, die sie auch mir wiederholt in einem persönlichen Gespräch stellte, war: „Whom did she like better: boys or girls?“ Es ging nicht – das war in ihrer Generation auch nicht die Frage, um lesbische oder schwule Identität, sondern um sexuelle Präferenz. Und diese sexuellen Präferenzen beschreibt sie in all ihren Subtilitäten und mit viel Humor. So sind Sybille Bedfords Bücher, so wie auch das in schöner Ausstattung in einer Sonderreihe der Anderen Bibliothek wiederaufgelegte Ein Vermächtnis, wunderbare Quellen für vielfältiges queeres Leben im vorigen Jahrhundert und darüber hinaus noch viel mehr. (Rezension Ines Rieder)
Sybille Bedford: Ein Vermächtnis. Berlin: Extradruck der Anderen Bibliothek Berlin 2013
Die Liebe wirst Du los, das Virus nie
Beginnt man das Tagebuch des „Homeworkers bei der AIDS-Hilfe“ Rainer Deppe zu lesen, kommt einem der Text merkwürdig anachronistisch vor, ist doch das Sterben an den Folgen einer HIV-Infektion seit Jahren aus dem Fokus geraten. Seit der Durchsetzung der Kombinationstherapie ist das Sterben an Aids tatsächlich zurückgegangen, die HIV-Infektion wurde in vielen Fällen zu einer behandelbaren, chronischen Erkrankung. Aber nicht in allen und das zeigt auch Deppes Buch, das vom Sterben eines Aids-Patienten in Frankfurt erzählt. Die Erzählung bleibt ohne Jahreszahl, auch im etwas zu schmal geratenen Nachwort (man hätte sich mehr Informationen über die Hintergründe des Tagebuchs und dessen Bearbeitung für die Publikation gewünscht) erfährt man keine Einordnung. Aus erzählten Details ließe sich aber das Jahr 2005 rekonstruieren, was aber letztendlich für die Lektüre unerheblich ist. Der diplomierte Soziologe Deppe möchte mit seinem einfühlsamen Bericht über die letzten Monate des Lebens von David Hagenreuther auch etwas ganz anderes auf das er in einer unscheinbaren Widmung auf dem Vorsatz des Buches verweist: Er möchte alle Menschen ansprechen, „die es mit Schwerkranken oder Sterbenden zu tun haben“. Wie stellt man sich den Emotionen, die aufbrechen, wenn man in kurzer Zeit einem vorerst fremden Menschen näher kommt? Wenn man sich anfreundet, das Sterben aber zwischen dem Aufbau einer längerfristigen Beziehung steht? Und es ist vor allem auch ein Buch, das während des Lesens zu eigenen Reflexionen einlädt.
Rainer Deppe: Die Liebe wirst Du los, das Virus nie. Als Homeworker bei der AIDS-Hilfe. Frankfurt: Brandes& Apsel 2013; erhältlich bei Löwenherz
Batman & Robin
Es ist eine intellektuelle Petitesse, die der Literaturwissenschaftler Dirck Linck mit seiner theorieschwangeren Spurensuche nach dem beliebten Comic-Paar in der deutschsprachigen Popliteratur abliefert – aber eine höchst vergnügliche und informative. Batman erblickte in den USA bereits 1939 das Licht der Welt, im deutschsprachigen Raum ist der Rächer allen Übels erst seit Mitte der 1960er Jahre im Einsatz, da in den „dunklen“ 1950er Jahren gegen Comics ein Kulturkampf geführt wurde, der das Medium grundsätzlich als kulturlos, als „Schmutz und Schuld“, der aus den USA kam, diffamierte. Der Fledermausmann mit seinem zwei Gesichtern – als schüchterner Privatmann Bruce Wayne und als muskulöser im Fetischdress auftretender Retter vor dem Bösen – war schon immer Projektsfläche erotischer Phantasien, nicht erst seit dem Unbeweibten der zarte Knabe Robin zur Seite gestellt wurde. Den schwulen Mythenbildungen spürt Dirck Linck in seinem Essay nach und cruised dabei ungeniert zwischen Comics und antiker Mythologie, wenn er Analogien zwischen Batman & Robin sowie Zeus & Ganymed erstellt, zwischen Lyrik und Texten von Rolf Dieter Brinkmann und Elfriede Jelinek, in deren frühem Roman wir sind lockvögel baby? die Comichelden eine gar unheldenhafte Rolle spielen.
Dirck Linck: Batman & Robin. Das „dynamic duo“ und sein Weg in die deutschsprachige Popliteratur der 60er Jahre. Hamburg: Textem 2012; erhältlich bei Löwenherz
Frauenkörper neu gesehen
Es gehört zu den Grundlagen eines gesunden, aber auch eines erfüllten Sexuallebens, dass frau ihren Körper kennt. Die Neuauflage des Klassikers A New View on Woman’s Body aus den 1970er Jahren wurde gründlich überarbeitet, und bietet nun auch Informationen zur Selbstuntersuchung und Informationen zu Themen, die zur Zeit des Originalausgabe noch keine Relevanz hatten: etwa Safer Sex. Hinzu kommen auch mit Tabus belegte Fragen nach Schwangerschaftsabbruch, zu Gefahren der Schönheits- und Intimchirurgie. Auf den ersten Blick wirken die gezeichneten Darstellungen von Frauenkörpern, Geschlechtsorganen und Körperteilen etwas schulbuchhaft und anachronistisch, bewirken aber auch eine Konzentration auf das wesentliche der Information und verhindern jeden voyeuristischen Blick. Ein Glossar, Literaturhinweise und eine Liste mit frauenspezifischen Gesundheitszentren im deutschsprachigen Raum runden den praktischen von Deutschlands Sexpertin Nummer 1 Laura Mértitt herausgegebenen Band.
Laura Méritt (Hg.): Frauenkörper neu Gesehen. Ein illustriertes Handbuch. Berlin 2012; erhältlich bei Löwenherz
Wegwalt-Drucke von Adolf Brandt
Nachdem Adolf Brandt die gegen ihn verhängte eineinhalbjährige Haftstrafe, die gegen ihn verhängt worden war, weil er Reichkanzler von Bülow im Zuge der Eulenburg-Affäre als Homosexuellen bezeichnet hatte, abgesessen hatte, war er finanziell ruiniert. 1906 hatte der den letzten Jahresband seiner Zeitschrift Der Eigene herausgeben können, einen prächtigen Band mit belletristischen Beiträgen, edel illustriert. Aber Adolf Brandt war nicht bereit aufzugeben, er kämpfte mit der Extrapost des Eigenen, einem Informationsblatt für eher national gesinnte Homosexuelle, mit dem sich Brandt auch von Magnus Hirschfeld und seinem Wissenschaftlich Humanitärem Komitee absetzte, weiter für die Straffreiheit gleichgeschlechtlichen Begehrens. 1913 erwog er aber, sich auch anderen Projekten zu widmen. Er hatte Pläne sich nur noch künstlerischen Fotografie zu verschreiben, dachte aber auch darüber nach, wie Marita Keilson-Lauritz in ihrem informativen Vorwort zu Lebensspuren Brandts in diesen Jahren ausführt, eine neue Zeitschrift, Ein Blatt für deutsche Art, Dorfkultur und Heimatpflege, zu gründen. Den fremd klingenden Namen entlehnte er der nordischen Mythologie, in der der Wegwalt mit Wotoan/Odin assoziiert wird. Aus der neuen Zeitschrift wurde nichts, aber Brandt verwendete den Namen für sieben Sonderdrucke mit unterschiedlicher Beiträge aus dem Umfeld des Eigenen, darunter die Erzählung Der Matrose von Karl Heinrich Ulrichs, Liebesgedichten von Michelangelo an Tommaso Cavaliere und den programmatischen Text Die Wiedergeburt der Freundesliebe von Adolf Brandt selbst. Mit diesem wollte er die Gemeinschaft der Eigenen wiederbeleben. Diesmal vereitelte der Ausbruch des 1. Weltkriegs das Unterfangen. Die nächste Ausgabe des Eigenen konnte erst 1919 erscheinen. Der 66. Band der Bibliothek rosa Winkel stellt in gewohnter editorischer Qualität einen Reprint der Wegwalt-Drucke dem an schwuler (Literatur)Geschichte interessierten Publikum vor.
Adolf Brandt (Hg.): Die Wegwalt-Drucke. Reprint mit einer Vorbemerkung von Marita Keilson-Lauritz. Hamburg: Männerschwarm 2013 (=Bibliothek rosa Winkel, 66); erhältlich bei Löwenherz
Claude Cahuns
Seit Ende der 1980er Jahre wird das Werk der französischen Künstlerin Claude Cahuns vermehrt wahrgenommen: Cahuns Fotografien und Fotomontagen werden international gezeigt und auch in der Literatur und den akademischen Recherchen wird Cahun vielfach rezensiert und wissenschaftlich bearbeitet. Das vorliegende Buch basiert auf einer Dissertation aus dem Jahr 2011 und setzt sich spezifisch auf wissenschaftlicher Ebene mit der Darstellung von Cahuns Körper in ihrem Werk auseinander. Wie die Autorin in der Einleitung festhält: da „erst über den Körper ein eigener Weltzugang ermöglicht wird“ der bis in die Romantik zurückverfolgt werden kann. Der Blick „auf eine Gesamtheit von Körper und Seele als ‚leidenschaftlich fragmentierte‘ Menschen“ hat in der Romantik ihren Ursprung. Andrea Stahl beleuchtet den fotografischen Werdegang Claude Cahuns und bringt ihn im Zusammenhang mit Cahuns weitgehend unbekanntem schriftlichem Nachlass. Und obgleich Cahun mit den bekannten Surrealisten ihrer Zeit vertraut war und in Kontakt stand und später vielfach dieser Strömung zugerechnet wurde, ist ihr Werk doch einzigartig. Artikulierte Phänomenalität ist wohl nicht die geignete Lektüre zum Einstieg in die Welt Claude Cahuns, aber für diejenigen, die bereits mit Cahun vertraut sind, die Möglichkeit einer Vertiefung und Bereicherung. (Rezension Ines Rieder)
Andrea Stahl: Artikulierte Phänomenalität. Der Körper in den Texten und Fotografien Claude Cahuns. Würzburg: Königshausen & Neumann 2013

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