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Freier Fall

Der erste Spielfilm von Regisseur Stephan Lacants Freier Fall – Publikumshit bei den diesjährigen identities ist soeben auf DVD und Blue Ray erschienen.
Um ehrlich zu sein, ich mag schwule Problemfilme nicht, ich finde die Zeit des Grämens und Schämens muss auch mal vorbei sein. Also hat Freier Fall bei mir eigentlich schlechte Karten, denn der erste Spielfilm des deutschen Regisseurs Stephan Lacants ist ein Problemfilm, das Setting, in dem er spielt, lässt es gleich erahnen: Schwule in der Polizei. Das kann nicht wirklich gut ausgehen. Tut es auch nicht.
Marc (Hanno Koffler), werdender Vater, still und in sich gekehrt und oft sprachlos, trifft auf einer Schulung auf den forschen, schwulen (und kiffenden) Kollegen Kay (Max Riemelt), der ihn provoziert, irritiert und schlussendlich (ohne wesentliche Gegenwehr) verführt. Marcs kleinbürgerliche Idylle gerät aus den Fugen. Er versucht es mit einem Lügengebäude, das – man erwartet es – bald in sich zusammenstürzt, um Marc von Allen verlassen zurückzulassen. Der Zusammenbruch hat kathartische Wirkung und Marc ersteht wie Phönix aus der Asche gestärkt aus den Trümmern seines bisherigen Lebens.
Das ist der Plot eines knallharten schwulen Problemfilms und Freier Fallverhandelt auch Probleme: Wie geht eine (grundsätzlich homophobe) Männergesellschaft mit plötzlich real existierenden Schwulen um?

Erster Kuss


Welche Herausforderungen stellt ein Outing in einer so feindlichen Umwelt an die schwulen Männer, aber auch an die heterosexuelle Kolleg_innen? Diese Welt zu erzählen, führt Stephan Lacant manchmal an den Rand der Klischees, etwa bei der Figur des Neonazi-Kollegen Gregor (Shenja Lacher).

Verliebte Blicke


Mit dem Erzählstrang der zerbrechenden heterosexuellen Welt Marcs dazu – die lange nichtsahnende, hochschwangere Freundin Bettina (Katharina Schüttler), die Geburt des Kindes und das fragile Glück der jungen Familie, die plötzlich abweisende Mutter Marcs (Maren Kroymann), als sie dessen Homosexualität zufällig entdeckt – hätte man genug Ingredienzien für einen tränenreichen TV-Zweiteiler. Ein Schalk, wer darauf hinwiese, dass der SWR maßgeblich an der Produktion beteiligt war.

Verlogene Idylle


Damit noch nicht genug: Auch die neue Liebe macht Probleme. Kay verlangt von Marc sich zu entscheiden. Marc steht vor einer Zerreißprobe, die nur schiefgehen kann. Auf der einen Seite die Lust am Sex mit einem Mann, die Erfüllung sucht, und in der Begegnung mit Kay tiefe Befriedigung findet, auf der anderen das Leben mit Freundin und Kind, auf Schiene bis zur Rente, Kinder, Kegel, Großfamilie. Aber die Entscheidungen werden Marc ohnehin von außen aufgezwungen. Seine Freundin verlässt ihn angewidert, nachdem sie von seiner Beziehung zu Kay erfahren hat, und Kay, der Marc mit seinem provozierten Outing vor versammelter Kolleg_innenschaft zwingen will Position zu beziehen, quittiert den Dienst, nachdem er von homophoben Kollegen zusammengeschlagen worden war.

Glückliche Momente 2


Und doch verließ ich als Problemfilm-Phobiker das Kino nach der identities-Premiere fasziniert und berührt. Es war etwas übergesprungen. Den Absturz in den Sozialkitsch hatte ein Drehbuch (Stephan Lacant und Karsten Dahlem) verhindert, das die Geschichte oft elliptisch erzählt und ihr damit ein eigenes Tempo gibt, mal vorantreibt und dann wieder Zeit lässt für atmosphärische Szenen. Die Kamera (Sten Mende) tut ihr übriges, immer nah dran an den Figuren, ihnen aber doch genug Raum lassend um eine Szene zu entwickeln.
Womit ich beim entscheidenden Plus von Freier Fall bin: den Darsteller_innen. Allen voran Hanno Koffler und Max Riemelt als Marc und Kay, doch der Film ist bis in die kleinste Nebenrolle exzellent besetzt und gespielt, erwähnt seien Maren Kroymann als Marcs erbarmungslos biedere Mutter, oder Shenja Lacher, der es verhindert, dass die Figur des Neonazi-Polizisten nicht im Klischee stecken bleibt und hinter dem brutalen, frauenfeindlichen und homophoben Schläger einen Hauch – und das eben genau richtig dosiert – von verunsichertem Mann aufblitzen lässt. Es sind große, mitunter recht stille Kinomomente dabei: Das freche Blitzen in Kays Augen, wenn er erste Fühler nach Marc ausstreckt und der stille Blitz, der Marc in diesem Moment trifft. Oder Katharina Schüttlers Darstellung von Bettinas Hilflosigkeit, die zwischen bockigem Schweigen und überbordenden Gefühlsausbrüchen oszilliert. Wenn die Beziehung von Marc und Kay vor Erotik knistert, sind es vor allem die Blicke und kleinen Gesten der beiden – es muss hier gesagt werden – heterosexuellen Schauspieler, die die Liebesgeschichte der beiden Männer in ihren schönen und schwierigen Momenten überzeugend darstellen.
Freier Fall (Regie: Stephan Lacant), DVD: Edition Salzgeber 2013, erhältlich bei Löwenherz

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