Im niederösterreichischen Kirchstetten wurde die Gedenkstätte für den britisch-amerikanischen Dichter Wystan Hugh Auden neu gestaltet wieder eröffnet. Ein Bericht für eine empfehlenswerte Reise und zwei Buchtipps von Andreas Brunner
Wenn ich bei meinen Stadtführungen in der Walfischgasse auf die Gedenktafel für den dort 1973 verstorbenen Dichter W. H. Auden hinweise, ernte ich, wenn es sich nicht um angelsächsische Gäste handelt, aber selbst bei diesen, meist fragende Mienen. Wystan who? Zitiere ich dann die eingängigen Zeilen aus seinem berühmtesten Gedicht –
Auden vor seiner „Dichterhöhle“´, Foto: QWIEN
He was my North, my South, my East and West, My working week and my Sunday rest My noon, my midnight, my talk, my song; I thought that love would last forever, I was wrong – hellen sich viele Gesichter dann doch auf. Ein Film aus den frühen 1990er Jahren hat sie tief ins kulturelle Gedächtnis eingeschrieben – Vier Hochzeiten und ein Todesfall mit dem charmanten Hugh Grant in der Hauptrolle. Ob es Auden gefallen hätte, dass sein Funeral Blues just beim Begräbnis eines schwulen Mannes von dessen hinterbliebenen Partner gelesen wird? Denn es sind die Heterosexuellen, die sich in Liebe finde, dem schwulen Paar bleibt da nur der Tod, herzzerreißend inszeniert, aber die Message bleibt: Sorry, für euch ist das Glück nicht vorgesehen.
Auden ist zeitlebens mit seiner Homosexualität offen umgegangen, auch in seinem Haus in Kirchstetten mit der Adresse Hinterholz 6 lebte er mit seinem Lebensgefährten Chester Kalman jeden Sommer als Männerpaar, empfingt berühmte Gäste, trank und dichtete. Oder empfing seinen „Hausstricher“ Hugerl. Und all das wird in der von Helmut Neundlinger kuratierten Ausstellung in den engen Räumen des schmucken alten Bauernhofes offen und manchmal mit einem Augenzwinkern erzählt.
Auden trinkfest, Foto: QWIEN
Über eine schmale, steile Holztreppe steigt man hoch in Auden „Dichterhöhle“, ein kleiner Raum in der Dachschräge mit putzigen Mansardenfenstern. Regale mit Teilen der Bibliothek Audens, sein Schreibtisch mit seiner Schreibmaschine und leere Schnapsflaschen. Ja, Auden und Kallman waren geeichte Trinker. In die Regale der Bibliothek hat der Gestalter der Ausstellung Peter Karlhuber kleine Vitrinen eingelassen, in denen Werke ausgestellt sind, die Audens Dichtung geprägt, inspiriert oder beeinflusst haben, mit denen er sich intensiv auseinandergesetzt hatte. Hörstationen erläutern die Hintergründe.
Die Enge der Räume und damit der Installation ist nicht immer bequem, aber kleine Hocker laden dann doch zum Verweilen und Zuhören ein. Im zweiten Raum folgt ein biografischer Abriss des Dichters. Schwules wird hier nicht ausgespart, sondern in seiner Bedeutung für Leben und Werk Audens entsprechend erzählt. Man erfährt von seiner zu Beziehung Christopher Isherwood, von ihrer gemeinsamen Zeit im Berlin der später 1920er und früher 1930er Jahre, die Isherwood zu seinem Bestseller Goodbye to Berlin inspirierten, aus dem wiederum der Musicalhit Cabaret wurde.
Audens Schreibmaschine, Foto: QWIEN
Die Zusammenarbeit mit den homosexuellen Komponisten Benjamin Britten und Hans Werner Henze wird dargestellt, wobei rare Materialien zur bei den Salzburger Festspielen uraufgeführten und dann vergessenen Oper Die Bassariden (Musik: Henze, Libretto: Auden gemeinsam mit Chester Kallman) besonders interessant sind.
Der kleine VW Käfer, Foto: QWIEN
Hörstationen bringen Musikbeispiele, Originaltexte (auch von Auden gelesen) – und dazwischen stehen Audens Filzpatschen, mit denen er ins Dorf einkaufen ging, als „Herr des Hauses“ die Besorgungen erledigte, die Chester zu einem Mahl verarbeitete. Der Tagesablauf war streng geregelt. Bis fünf Uhr am Nachmittag wurde gearbeitet, zurückgezogen in der Dichterhöhle, dann gab es Cocktails, Essen, Wein und Opernmusik. Ausflüge nach Wien führten vor allem in die Staatsoper, aber auch Treffen mit dem Stricher Hugerl gehörten für Auden dazu. Im Nachlass seiner Kirchstettner Gedichte fand sich ein Gedicht auf ihn mit dem liebevollen Titel Glad: Hugerl, for a decade now My bed-visitor, An unexpected blessing In a lucky life, For how much and how often You have made me glad.
Das Original. Foto: Literaturarchiv Niederösterreich
Dass dieser zu Auden nicht immer nett war, erzählt ein kleiner knallgelber Spielzeug-VW-Käfer in einer Vitrine. Hugerl hatte sich Audens Auto für Einbruchstouren „ausgeborgt“, die mit einer Verfolgungsjagd durch die Polizei mit Schusswechsel endete, wovon noch heute die Einschusslöcher in erhaltenen Original zeugen. Schade dass dieses auratische Objekt einer besonderen Liebesbeziehung nicht ausgestellt werden konnte.
Es ist den Gestaltern der Ausstellung – Neundlinger und Karlhuber – gelungen auf engem Raum mit einer übersichtlichen Zahl an Objekten erstaunlich viel über Leben und Werk des Dichters und Menschen Auden und seiner besonderen Beziehung zu dem kleinen niederösterreichischen Nest Kirchstetten zu erzählen, das, da es auch das Haus Josef Weinhebers beherbergt, eine kleine Dichterhochburg an den Gleisen der alten Westbahn darstellt. Da der Rest des Hauses bewohnt wird, ist die Gedenkstätte nur gegen Voranmeldung zu besuchen. (Informationen zur Anmeldung)
Audens Grab am Friedhof Kirchstetten, Foto: QWIEN
Den Abschluss eines Ausflugs nach Kirchstetten kann der Besuch am Friedhof bilden, wo Auden wunschgemäß bestattet liegt.
In keinem deutschsprachigen Verlag ist zur Zeit ein Lyrikband lieferbar, will man Auden in Übersetzung lesen, muss man auf antiquarische Ausgaben zurückgreifen. Dafür gibt es Bücher zu Audens Leben und Werk. Einen Preis als schönstes Buch Österreichs 2014 bekam
Silence Turned into Objects
Die Dokumentation und Vertiefung eines Ausstellungsprojekts von Ricarda Denzer aus dem Jahr 2013/14 im Audenhaus spiegelt die „Spannung zwischen dem Privaten, Persönlichen und dem Öffentlichen, Politischen“ (Denzer), die für Audens Werk charakteristisch ist. Auden griff wie kein anderer Dichter seiner Zeit unmittelbare biografische Fakten auf – sein Haus, Freunde und Freundinnen, Menschen aus und das Leben in Kirchstetten sind Thema – ging aber, da er sie in übergeordnete politische oder gesellschaftliche Zusammenhänge einbettete, weit über das autobiografisch-anekdotische Schreiben hinaus. Elf Künstler_innen setzen sich mit Audens Werk auf ganz unterschiedliche Weise von Performance bis Installation und Zeichnung auseinander. Ihre Arbeiten sind im ersten Teil des durchgängig zweisprachig, deutsch/englischen Bandes dokumentiert.
Audens Filzpantoffel, Foto: QWIEN
Die Essays im zweiten Teil gehen auf Aspekte in Audens Werk ein, die in Zusammenhang mit Kirchstetten, so etwa Hermann Schlösser über die Beziehung Audens zu Weinheber, dem er ein Gedicht widmete, in dem er den glühenden Nationalsozialisten Weinheber von jeder Schuld freispricht, weil ihn seine Sprache über diese Fragen erhebe. Eine durchaus fragwürdige Position des „linken“ Auden. Dem Leben im Kirchstettener Haus und dessen Verarbeitung in Dichtung widmen sich die Aufsätze von Rainer Emig und Monika Seidl. Wie er dabei seine Beziehung mit Chester Kallman aber auch sexuelle Erfahrungen außerhalb der Beziehung im Privaten verortet aber öffentlich macht, zeugt auch von einem großen Selbstbewusstsein als homosexueller Mann.
„Ich bin schwul“
hielt Auden in seinen Aufzeichnungen über sein Leben in Berlin der ausgehenden 1920er Jahren fest. Er war dem Ruf Berlins als Eldorado für Homosexuelle gefolgt und war dabei bei weitem nicht der Einzige der vornehmlich angelsächsischen Homosexuellen, die als Sextouristen das Nachtleben, den Strich und die sexuelle Emanzipation suchten, wie Robert Beachy an einigen Beispielen zeigt. Freizügiger Sex und der Kampf für Straffreiheit und Anerkennung waren Bestandteile eines weltweit einzigartigen schwulen Lebens, das später Audens Freund Christopher Isherwood in seinen Berlin Romanen aber auch in seiner Autobiografie Christopher and his Kind so einzigartig schilderte: „Berlin meant Boys.“
Auden in Berlin, Foto: QWIEN
Anhand unveröffentlichter Dokumente aus dem Nachlass zeichnet Beachy Audens Leben nach, die (Stricher)Lokale, die er besuchte, die Beziehungen, die er führte, und die Begegnungen, etwa mit Magnus Hirschfeld, die sein sexuelles Selbstbewusstsein prägen sollten. Hier konnte er ausrufen: „Ich bin schwul!“ – wobei Auden diesen Satz auf Deutsch schrieb. Beachy setzt diesen Akt einer homosexuellen Emanzipation kenntnisreich in Beziehung zum Berlin der Weimarer Republik, zur sozialen Situation und zum subkulturellen Leben. Auden verließ Berlin als selbstbewusster Homosexueller, der sich zeitlebens wegen seines Begehrens nicht mehr verbiegen wird, nicht in den USA, wo er später lebte, noch in Kirchstetten, das er jeden Sommer besuchte.
Leider ist die Publikation Etikettenschwindel. Wer Robert Beachys großen Buch über Das andere Berlin gelesen hat, die ebenfalls diesen Herbst erschien, wird wenig Neues über Auden und sein schwules Leben in Berlin erfahren. Beachys Hirschfeld Lecture ist nicht mehr als eine bearbeitete Montage von Textbausteinen aus der großen Publikation. Ricarda Denzer/Monika Seidl (Hg_innen): Silence Turned into Objects. W. H. Auden in Kirchstetten. St. Pölten: Literaturedition Niederösterreich 2014, erhältlich bei Löwenherz Robert Beachy: “Ich bin schwul” W. H. Auden im Berlin der Weimarer Republik. Göttingen: Wallstein 2015 (=Hirschfeld Lectures, Band 6), erhältlich bei Löwenherz