Der Titel seines König-Ludwig-Romans König Phantasus könnte auch als Titel der Biografie von Emil Mario Vacano dienen. Wolfram Setz hat sich auf eine Spurensuche begeben und die Biografie des vermeintlich homosexuellen Schriftstellers Emil Mario Vacano rekonstruiert. Am 22. Oktober stellt Setz seine Ergebnisse in der Buchhandlung Löwenherz vor.
Ein Foto mit kurzer Beschreibung in Magnus Hirschfelds Geschlechtskunde war Ausgangspunkt für die Nachforschungen des für die schwule Literaturgeschichte so verdienstvollen Literaturwissenschaftlers, Historikers und Herausgebers Wolfram Setz, der die schon auf 69 Bände angewachsene Bibliothek rosa Winkel mit Reprints und Neuausgaben vergessener Literatur zu männlicher Homosexualität verantwortet. Das Foto zeigt ein „Homosexuelles Freundespaar“ und nennt in der Bildunterschrift die österreichischen Schriftsteller Emmerich Graf v. Stadion und Emil Mario Vacano, über den man noch erfährt, dass er „unter dem Namen Miß Corinna eine berühmte Kunstreiterin“ (!) gewesen sei, bevor er sich der Literatur zuwandte. So findet man die Autoren auch mehr oder weniger ausgeschmückt in homosexuellen Literaturgeschichten präsentiert. Doch stimmt dieses Bild?
In seiner untertrieben als „biographische Skizze“ bezeichneten, mehr als 200 Seiten dicken Spurensuche versucht Wolfram Setz das Leben eines Tausendsassas zu rekonstruieren, und den Mythos des schwulen Dichterpaares zu hinterfragen, denn bald stieß er auch auf Zeugnisse, die ein ganz anderes Bild der Beziehung der beiden Autoren zeichnet. Mit unglaublicher Akribie sucht Setz biografische Zeugnisse Vacanos und zeigt, dass schon der junge Bestsellerautor Gerüchte um seine Herkunft schürte, sich dabei aber auf Tatsachenfragmente stützte. Zeitlebens verband ihn eine Liebe zum Zirkus, in seiner Jugend vagabundierte er mit einem durch die Welt, er versuchte sich als Schauspieler am Burgtheater, wenig erfolgreich auch als Theaterautor.
Die Plauderei war Vacanos Genre, anzügliche Geschichten aus der Welt des Theaters erzürnten die Kritiker, fanden aber durchaus Zuspruch beim Publikum und sorgten für seinen zweifelhaften Ruhm. Detailreich zeichnet Wolfram Setz das literarische Umfeld nach, in dem Vacano seit den 1860er Jahren verankert war, seine Freundschaft mit Peter Rosegger, seine Zusammenarbeit mit Leopold von Sacher-Masoch, seine Beziehungen zu heute vergessenen Autor_innen, wobei besonders jene Autorinnen hervorstechen, die unter männlichem Pseudonym publizierten. Er zeichnet dabei ein schillerndes Bild des literarischen Lebens der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts, in dem sich Vacano nach seiner übermütigen Jugendzeit als ernsthafter Autor etablieren wollte.
Die Dioskuren
Die Beziehung zu Vacano, die Emmerich Graf Stadion-Thannhausen in seinem Gedicht „Die Dioskuren“ emphatisch besingt, war kompliziert. Der Adelige veröffentlichte eindeutig homosexuelle Erzählungen zu einem Zeitpunkt, als das Wort gerade erfunden wurde. Im selben Jahr als Karl Maria Kertbeny den Begriff Homosexualität (1868) erfand, ließ Stadion Männer „Rundtänze tanzen“ und machte auch in seiner Lyrik keinen Hehl aus seinen erotischen Vorlieben. Der attraktive Vacano mag in sein Beuteschema gepasst haben. Mehr als ein Jahrzehnt arbeiteten Vacano und Stadion an diversen literarischen Projekten zusammen und es scheint, dass Stadion die Beziehung intimer darstellte, als es Vacano lieb war. Dieser distanzierte sich in Briefen zum Teil deutlich von Stadion und wollte später nicht mehr mit ihm in Verbindung gebracht werden. Auch wenn kein richtiger Bruch zwischen den Beiden festzumachen ist, ein homosexuelles Freundespaar, wie Hirschfeld sie darstellte, waren Vacono und Stadion „sicher nicht“ (Setz).
Vacanos Werk – und das macht ihn für die queere Literaturwissenschaft interessant – ist durchsetzt mit Figuren, die sexuell nicht eindeutig sind oder ihrer sozialen Rolle nicht entsprechen. Vor allem im Frühwerk zeigt Vacano deutliches Interesse an den „pikanten“ Seiten des Lebens. Ausführlich ließ er sich zur Schilderung männlicher Schönheit hinreißen, er war unverheiratet und lebte fast sein ganzes Leben mit seiner Mutter zusammen. Das mögen Indizien sein, aber nach Maßgabe der bisher bekannten Quellen gibt es „keinen Anhaltspunkt“ (Setz), dass Vacano homosexuelle Beziehungen gehabt hätte. Ob er deshalb schon aus dem „Kanon der schwulen Literatur“ zu streichen ist, kann man anhand von ausgewählte Texte aus der Feder Vacanos und Stadions, die von ihrer Zusammenarbeit, ihrer Freundschaft und Stadions Begehren, aber auch von der Bewunderung männlicher Schönheit durch Vacano und einem innigen Freundschaftskult erzählen, selbst überprüfen. Wolfram Setz bringt im Anhang seiner Vacano-Biografie entsprechende Gedichte, Romanauszüge und Erzählungen. Oder man greift zum ebenfalls von Wolfram Setz herausgegebenen König-Ludwig-Roman.
Vacanos Ludwig-Roman
Bereits im Todesjahr 1886 erschien König Phantasus mit dem Untertitel Roman eines Unglücklichen als nur dürftig verschlüsselter Roman über den Bayernkönig Ludwig II. unter der Autor_innenschaft von E. M. Vacano_Freiberg. Galt der nun in der Bibliothek rosa Winkel wiederveröffentlichte Roman in der Ludwig-Forschung bislang als Werk von Vacano, konnte Wolfram Setz schlüssig nachweisen, dass es sich vielmehr um eine Zusammenarbeit Vacanos mit der vielgelesenen Autorin Ada von Treskow (Ada Pinelli) handelte, die unter dem männlichen Pseudonym Günther von Freiberg publizierte.
Doch es ging dem Duo nicht um einen biografischen Abriss Ludwigs, vielmehr versuchten sie sich an einem frühen Psychogramm des rätselhaften Königs. „Cäsarenwahn“ konstatierten sie und setzten Ludwig, den sie Percival nannten, in Beziehung zu historischen Herrschern wie Elagabal und Nebukadnezar. Vorsichtig näherten sich Vacano und Pinelli auch der Homosexualität Ludwigs und ließen ihn den 1875 erschienen Roman Fridolins heimliche Ehe des Burgtheaterdirektors Adolf Wilbrandt lesen, in dem dieser von der glücklich endenden Suche eines Professor nach einem passenden männlichen Gegenstück erzählt.
Warum dieser Ludwig-Roman auch heute noch interessant ist, wird Wolfram Setz anlässllich der Vorstellung der beiden Vacano-Bände in der Buchhandlung Löwenherz am 22. Oktober ab 20.00 Uhr beantworten.
Emil Mario Vacano/Günther von Freiberg: König Phantasus. Roman eines Unglücklichen. Hamburg: Männerschwarm 2014 (=Bibliothek rosa Winkel, Bd. 68), erhältlich bei Löwenherz
Wolfram Setz: Emil Mario Vacano. Eine biografische Skizze. Hamburg: Männerschwarm 2014 (=Bibliothek rosa Winkel, Bd. 69), erhältlich bei Löwenherz