Vom 25. bis 27. September 2015 fand in Berlin die Jahrestagung des Fachverbands Homosexualität und Geschichte (FHG) statt. Christopher Treiblmayr nahm an ihr teil.
Seit der Gründung 1992 vernetzten sich im Fachverband Homosexualität und Geschichte Historiker_innen, die zur schwulen, lesbischen oder Trans-Geschichte forschen, zum Erfahrungsaustausch. Einmal jährlich treffen sie sich bei einer Tagung, um aktuelle Ergebnisse historischer Forschungen zur Geschichte von LGTBI zu diskutieren. Der FHG gibt auch die jährlich erscheinende Zeitschrift Invertito. Jahrbuch für die Geschichte der Homosexualitäten heraus, in der Aufsätze erscheinen, die von den Kolleg_innen im Peer-Review-Verfahren diskutiert wurden.
Die diesjährige Jahrestagung wurde am Freitag, dem 25. September am Nachmittag mit dem Vorprogramm in der Geschäftsstelle der Bundesstiftung Magnus Hirschfeld eröffnet. Dr. Daniel Baranowski vom Referat „Forschung und Erinnerung“ stellte dabei das ZeitzeugInnenprojekt der Stiftung vor, welches die Lebenserinnerungen von Menschen dokumentieren will, die nach 1945 aufgrund ihrer sexuellen Orientierung Diskriminierung und Verfolgung erleiden mussten. Beim anschließenden Empfang in den neuen Räumen der Magnus-Hirschfeld-Gesellschaft in der Mohrenstraße 63 stand ebenfalls eine Biographie im Mittelpunkt: Jene des weitgehend vergessenen Arztes Max Tischler, der von 1908 bis zu seinem Tod 1919 Mitglied im Vorstand des Wissenschaftlich-humanitären Komitees war. Basierenden auf den Recherchen des Historikers Raimund Wolfert (Magnus-Hirschfeld-Gesellschaft) hat der Künstler Rui Vilela eine sensible filmische Annäherung an Tischler und seine Wiederentdeckung vorgelegt, die bei der Tagung ihre Prämiere erlebte.
Am Samstag, dem 26. September standen zunächst die wissenschaftlichen Vorträge im Schwulen Museum* auf dem Programm. Raimund Wolfert (Berlin) präsentierte seine Recherchen zu Eva Siewert, die 1949/50 das einzige weibliche Vorstandsmitglied des neu gegründeten Wissenschaftlich-humanitären Komitees war. Christiane Leidinger (Berlin) stellte ausgehend von rezenten Debatten um Platzbenennungen ihre Überlegungen zu einer intersektionalitätsbewussten und empowernden Erinnerungskultur vor. Die Beziehung der beiden Tänzerinnen Marta Halusa und Margot Liu wurde von Ingeborg Boxhammer (Bonn) analysiert. Den beiden Frauen gelang es trotz schwierigster Bedingungen, auch in der Zeit des Nationalsozialismus, ihre lebenslange Liebe füreinander aufrechtzuerhalten. Schließlich behandelte QWIEN-Mitarbeiter Christopher Treiblmayr (Wien) anhand von Filmausschnitten eine von ihm konstatierte Diskursexplosion über männliche Homosexualitäten im deutschen Kino der 1990er Jahre.
Der Nachmittag des Haupttages war der vom 26. Juni bis 1. Dezember 2015 gezeigten Ausstellung „Homosexualität_en“ gewidmet. Kuratorin Birgit Bosold führte die TagungsteilnehmerInnen durch beide Teile der Ausstellung. Die Sonderschau im Deutschen Historischen Museum fokussiert die gesellschaftlichen, politischen, künstlerischen, rechtlichen und wissenschaftlichen Aspekte des Themas seit der Mitte des 19. Jahrhunderts. Der zweite Teil im Schwulen Museum* lädt dazu ein, sich durch die ausgestellten zeitgenössischen künstlerischen Arbeiten mit aktuellen und künftigen Ausgestaltungsmöglichkeiten von Geschlechterordnungen und Sexualitätskonzepten auseinanderzusetzen.
Während die ersten beiden Tage öffentlich zugänglich waren, bildete die nicht öffentliche Mitgliederversammlung des Fachverbands am Sonntag, 27. September auf dem Gelände des Alten St.-Mätthäus-Kirchhofs mit anschließender Führung über den Friedhof den Abschluss der insgesamt sehr gut besuchten Tagung.
Wie schon bei der FHG-Jahrestagung 2014 in der Stiftung Akademie Waldschlösschen gab es auch bei der Jahrestagung 2015 wieder einen Sonderstempel der deutschen Post, der zu Ehren von Magnus Hirschfeld gestaltet und am 26. September eingesetzt wurde.