QWIEN trauert um einen ehrenamtlichen Mitarbeiter und lieben Freund. Poldo Weinberger ist letzten Freitag in Wien gestorben. Ein Nachruf von Andreas Brunner
Lange Zeit war Leopold „Poldo“ Weinberger ein Phantom. Wir kannten seinen Namen aus einem Bericht des Wiener über die schwule Szene Ende der 1970er-Jahre, wo er als Liedermacher vorgestellt wurde, der mit seinen Liedern das schwule Leben der Zeit besang. Als junge Historiker, die sich auf die Suche nach ihrer jüngeren Geschichte machten, interessierten wir uns natürlich für diese Lieder und auch den in der frühen Schwulenbewegung aktiven Poldo. Aber niemand konnte uns sagen, wo er zu finden war.
Irgendwann hatte das Leben für das politische Engagement keine Zeit und keine Energie mehr gelassen und Poldo war aus der sich Anfang der 1980er-Jahre etablierenden Community rund um die HOSI Wien oder die Rosa Lila Villa verschwunden. Dann eines Tages, es muss um 2010 gewesen sein, rief mich Ines Rieder an, um mir mitzuteilen, dass sie Poldo Weinberger gefunden habe. Wie ihr das gelungen war, hat sie mir nie erzählt, sie stellte aber den Kontakt zu Poldo her. Er lag allerdings im Spital, weil ihm nach einem komplizierten Trümmerbruch ein Bein abgenommen werden musste.
In der Zeit seiner Rehabilitation begannen wir, ohne uns noch persönlich zu kennen, regelmäßig zu telefonieren. Dabei und bei vielen späteren Gesprächen erzählte er mir von seinem Leben. Er erzählte von seiner glücklichen Kindheit auf einem Bauernhof im niederösterreichischen Mostviertel, von den zahlreichen Geschwistern, die ich nie alle auseinanderhalten konnte. Vom knorrigen, tiefgläubigen Vater und seiner Prägung durch die katholische Kirche. Für einen Buben aus einer kinderreichen bäuerlichen Familie war die Aufnahme im Konvikt des Stiftsgymnasiums Seitenstetten eine der wenigen Möglichkeiten auf Bildung. Diese nützte Poldo, auch wenn ihn das Erkennen seines homosexuellen Begehrens in der katholischen Enge zusehends bedrückte. Mit der Matura in der Tasche ging er nach Wien. Er wollte Lehrer werden und unbeschwerter schwul leben, als dies am Land je möglich gewesen wäre.
Er wurde Mitglied von Coming Out (CO), der ersten Schwulengruppe Österreichs, die der schwulen Emanzipation auf die Sprünge helfen wollte. Man gab eine Zeitschrift heraus, die CO-Info, und diskutierte bei den Treffen, was Schwulsein in einer kapitalistischen Gesellschaft bedeutet. Man verortete sich links und griff dabei auch die kleine kommerzielle schwule Subkultur an, die sich hinter anonymen Türen versteckte, aber mit Schwulen Geld machte. Diese Jahre des Aufbruchs begleitete Poldo mit seinen Liedern. Mal waren es melancholische Liebeslieder, mal kämpferische Politsongs, dann aber auch satirische Lieder, die sich über das Schwulsein lustig machten. Ein Foto aus diesen Jahren zeigt einen schmalen jungen Mann mit langen blonden Haaren, wie auf vielen anderen Fotos die Gitarre in der Hand. Die Musik war sein Leben, erzählte er immer wieder.
Er hatte dann jahrelang ohne Kontakte zur schwulen Szene in einem Puppentheater gearbeitet, lebte in einer Beziehung. Sein Alkoholkonsum, über den Poldo später offen sprach, entfremdete ihn dem Leben immer mehr und setzte ihm auch gesundheitlich zu. Schlussendlich rappelte er sich auf, er bezog eine kleine Gemeindewohnung auf der Hasenleiten in Simmering und arbeitete daran, sein Leben wieder in den Griff zu bekommen. Der Beinbruch und die Amputation waren auf diesem Weg aber ein herber Dämpfer. In dieser schwierigen Zeit war ihm die Musik eine wichtige Stütze. Nach langer Zeit begann er wieder Gitarre zu spielen, mit Ehrgeiz übte er alte und neue Lieder und bereitete sich auf ein Comeback vor. In mehreren Konzerten im Gugg, dem Vereinslokal der HOSI Wien, präsentierte er in den letzten Jahren eigene, aber auch Lieder seiner großen Vorbilder wie Franz-Josef Degenhardt oder Leonard Cohen. Bis zuletzt war er ein unermüdlicher Fan, schwärmte mir von neuen Musikern vor, die er entdeckt hatte, postete auf Facebook seine neuen Fundstücke.
Daneben unterstützte er als ehrenamtlicher Mitarbeiter die Arbeit von QWIEN, sortierte Papiere und unermüdlich tausende Zeitungsausschnitte. Wie oft saß er in unserer Mitte und erzählte uns Geschichten aus seiner Kindheit, über das schwule Leben im Wien der 1970er-Jahre und über seine neuen Pläne für Konzerte. Immer wieder planten wir, dass wir uns hinsetzen und diese Erinnerungen aufnehmen. Immer wieder vertagten wir es, wir hatten ja noch Zeit. Nun hat uns dein unerwarteter Tod einen Strich durch unser Pläne gemacht. Nun leben deine Erinnerungen in uns fort. Wir werden dich vermissen.