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Fundstück des Monats (Juli 2021)

Das Messbuch aus dem Nachlass von Raoul Aslan und Tonio Riedl.

Tiefe Gläubigkeit und offen gelebte Homosexualität waren für den Burgschauspieler Raoul Aslan kein Widerspruch. Nachdem der in Thessaloniki geborene Raoul Maria Aslan 1920 ans Wiener Burgtheater engagiert worden war, stieg er rasch zu einem der Publikumslieblinge des Hauses am Ring auf. Sein gutes Aussehen, seine markante Stimme und seine große Wandlungsfähigkeit machten ihn auch in der NS-Zeit zu einer Stütze des Hauses. Weil er seine Homosexualität gegenüber den nationalsozialistischen Machthabern nicht verbarg, wurde er auch immer wieder der „österreichische Gustaf Gründgens“ genannt, den Klaus Mann in seinem Roman „Mephisto“ als rücksichtslosen Karrieristen darstellt. Im Gegensatz zu Gründgens hielt Aslan eine gewisse Distanz zu den NS-Machthabern und galt so in der Nachkriegszeit als nicht belastet. Er wurde sogar von den Alliierten zum ersten Burgtheaterdirektor der Nachkriegszeit ernannt. Als er 1958 starb, trauerte die Kulturnation, die gerade dabei war ihre Identität zu finden, um einen „großen Menschendarsteller“.

Seit 1932 führte er mit dem um 20 Jahre jüngeren Burgtheaterschauspieler Tonio Riedl eine Beziehung, die er selbst in der NS-Zeit nicht versteckte. Zeitlebens hatte der streng gläubige Aslan eine innige Beziehung zu Engeln, die sich nicht nur in einer umfangreichen Sammlung an Barockengeln zeigte, auch der Kosename für seinen Geliebten Tonio war „mein geliebtes Engerl“. Dieses geliebte Engerl widmete 1938 seinem „innigst geliebten Raoul“ ein Messbuch, das deutliche Spuren regelmäßigen Gebrauchs zeigt. Neben einer Reihe von Postkarten, Andachtsbildern oder Parten lag in diesem Messbuch auch ein rührender Liebesbrief Tonios an Raoul bei, in dem Tonio inständig dessen baldige Genesung herbeisehnte. 1953 widmete Aslan sein Gebetbuch in zittriger Handschrift an Tonio zurück. Tonio Riedl starb im Jahr 1995 und ist gemeinsam mit Raoul Aslan auf dem Grinzinger Friedhof in Wien begraben.

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