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Entschuldigung für die strafrechtliche Verfolgung von homosexuellen Menschen in der Zweiten Republik

Im Juni 2021 entschuldigte sich die Justizministerin Alma Zadić im Namen der Justiz für die strafrechtliche Verfolgung von homosexuellen Menschen in Österreich in der Zweiten Republik. Diese Entschuldigung stellt einen historischen Wendepunkt in der geschichtlichen Verfolgung von Homosexualität im demokratischen Österreich dar, wie Historiker Andreas Brunner (QWIEN) an diesem Tag im Landesgericht darlegte. Im Folgenden leicht bearbeitete Auszüge aus seiner Rede.

Homosexualität in der Nachkriegszeit

Homosexualität war in den unmittelbaren Nachkriegsjahren weder politisch, juristisch, noch in der öffentlichen Wahrnehmung ein Thema. Die strafrechtliche Verfolgung gleichgeschlechtlicher Handlungen griff auch nach der Befreiung von der nationalsozialistischen Diktatur im demokratischen Österreich um sich: Typisch nationalsozialistische Zwangsmaßnahmen wie die Konzentrationslagerhaft, medizinische Experimente, die sogenannte freiwillige Entmannung oder die Bedrohung durch die Verhängung der Todesstrafe durch NS-Sondergerichte endeten. Die strafrechtliche Verfolgung und die damit einhergehende Vernichtung der sozialen Existenz, die Ächtung und der Ausschluss aus der Gesellschaft, gingen jedoch unvermittelt weiter.

Die Nachkriegsjustiz zweifelte in keinem einzigen Fall an der Rechtmäßigkeit der in der NS-Zeit ausgesprochenen Urteile nach Paragraf 129 Ib. Gemessen an der Zahl der Einwohner:innen war Österreich im Europa der 1950er-Jahre bis zu Beginn der 1970er-Jahre das Land mit der höchsten Verfolgungsintensität. Nirgendwo sonst wurden mehr Männer und Frauen wegen gleichgeschlechtlicher Handlungen verurteilt.

Das Ende der Strafbarkeit von gleichgeschlechtlichen Handlungen?

Der SPÖ-Abgeordnete Otto Tschadek setzte als erster die Verfolgung Homosexueller auf die parlamentarische Tagesordnung. Da im Parlament keine Einigung erzielt werden konnte, beschloss der Nationalrat 1954 die Einsetzung einer Strafrechtskommission. Obwohl diese Kommission im September 1957 mit einer Mehrheit von zehn zu zwei Stimmen die Abschaffung der Strafbarkeit gleichgeschlechtlicher Handlungen unter Erwachsenen empfahl, kam es auf politischer Ebene zu keiner Umsetzung.

Erst mit dem Wahlsieg der SPÖ unter Bruno Kreisky bei den Nationalratswahlen 1970 wurden die Weichen auf Erneuerung gestellt. Justizminister Christian Broda schritt zügig an die Reform des Strafgesetzes: der Paragraf 129 Ib wurde abgeschafft, flankierende Maßnahmen unter neuen Strafrechtsparagrafen eingeführt.

Bis zu diesem Zeitpunkt wurden zwischen 1950 und 1971 über 13.000 Männer* und Frauen* nach Paragraf 129 Ib verurteilt. Trotz aller Einschränkungen schuf Christian Broda mit der sogenannten „kleinen Strafrechtsreform“, die am 17. August 1971 in Kraft trat, ein Jahrhundertgesetz, das mit der Veröffentlichung eines neuen Strafgesetzbuchs am 1. Jänner 1975 in seine, für die nächsten Jahrzehnte geltende Form gegossen wurde.

Die neuen Paragrafen

Einvernehmliche, gleichgeschlechtliche Handlungen zwischen Erwachsenen waren damit straffrei. Vier neue Paragrafen wurden anstelle von Paragraf 129 Ib eingeführt.

Paragraf 209 „Gleichgeschlechtliche Unzucht mit Jugendlichen“ legte ein Schutzalter von 18 Jahren für männliche Homosexualität fest. Zum Vergleich: Heterosexuelle und weibliche gleichgeschlechtliche Handlungen waren ab 14 Jahren straffrei. (Aufgehoben 2002.)

Paragraf 210 „Gewerbsmäßige, gleichgeschlechtliche Unzucht“ galt ebenfalls nur für Männer. (Aufgehoben 1989.)

Paragraf 220 „Werbung für Unzucht mit Personen des gleichen Geschlechts oder mit Tieren“ untersagte die Verbreitung von Druckwerken und Laufbildern, die in einer Art Gutheißen von Homosexualität, dazu geeignet sind, solche „Unzuchthandlungen“ nahezulegen. (Aufgehoben 1996.)

Paragraf 221, der Verbindungen zur Begünstigung gleichgeschlechtlicher Unzucht unter Strafe stellte, war praktisch als erstes totes Recht, nachdem das Innenministerium die Gründung der Homosexuelleninitiative HOSI Wien 1980 nicht untersagte. (Aufgehoben 1996.)

Das Ergebnis der neuen Paragrafen

Insgesamt bediente der Paragraf 209 das auch im Nationalsozialismus propagierte Stereotyp des homosexuellen Mannes als „Jugendverderber“ weiter. Die Paragrafen 220 und 221 hingegen erwiesen sich als Hemmschuh für die Entwicklung einer homosexuellen Emanzipationsbewegung. So wurde der Werbeparagraf mitunter in Verbindung mit dem Verbot gleichgeschlechtlicher Pornografie als harter Pornografie gegen Zeitschriften, Druckwerke oder Filme eingesetzt, die Homosexualität und homosexuelle Handlungen positiv darstellten. Selbst Aufklärungsbroschüren der deutschen Aidshilfe wurden noch Anfang der 1990er-Jahre vom Zoll als harte Pornografie beschlagnahmt.

Insgesamt wurden nach Paragraf 209 zwischen 1972 und 2002 über 1.000 Männer verurteilt und deren Existenz zerstört.

Hör- und Lese-Tipps

Zum Nachhören (Alma Zadić):
Offizielle Entschuldigung des Justizministeriums mit Andreas Brunners Rede. https://fb.watch/6pAfszVr8r/ (Min. 17:17).

Zum Nachlesen:
Pressemitteilung des österreichischen Justizministeriums. www.bmj.gv.at/ministerium/presse/pressmitteilungen-2021/Justizministerin-Zadi%C4%87-entschuldigt-sich-f%C3%BCr-strafrechtliche-Verfolgung-homosexueller-Menschen-in-der-zweiten-Republik.html.

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