Im Dezember 1949 formulierte die Österreichische Liga für Menschenrechte eine Presseaussendung, in der sie eine Neuregelung von Paragraf 129 Ib des österreichischen Strafgesetzes forderte. Dieser Paragraf verbot „Unzucht wider die Natur mit Personen desselben Geschlechts“ und sah dafür eine Strafe von einem bis zu fünf Jahren schwerer Kerkerhaft vor. Unser Fundstück des Monats April zeigt die erste von insgesamt drei Seiten der Aussendung von 1949, die aber vermutlich nie an die Presse übermittelt wurde. Dennoch markiert sie den Beginn eines Jahrzehnte langen öffentlichen Eintretens der Liga für die Entkriminalisierung von Homosexualität in der Zweiten Republik. Damit nahm die zivilgesellschaftliche Vereinigung ein Engagement gegen diesen Paragrafen wieder auf, an dem sie sich bereits in der Ersten Republik beteiligt hatte.
In den ersten Jahren der Zweiten Republik erhoben nur sehr vereinzelte Politiker*innen öffentlich die Forderung nach einer Streichung oder Reform des besagten Paragrafen. Zugleich existierte in Österreich – anders als in der Schweiz oder der Bundesrepublik Deutschland – keine „Homophilenbewegung“, in der sich Homosexuelle damals artikulierten. Die Österreichische Liga für Menschenrechte, die sich einer Vielzahl von rechtspolitischen Themenbereichen widmete, avancierte deshalb zu einer Anlaufstelle für Homosexuelle, die der Strafverfolgung zum Opfer gefallen waren. Mehrere Ersuchen um individuelle Rechtshilfe gaben den direkten Anlass zur geplanten Presseaussendung von 1949, die jedoch auch in der Liga selbst umstritten war. Trotzdem folgte ihr vom Jahr 1952 an eine Reihe von Artikeln und öffentlichen Stellungnahmen, in denen die Liga ihre Forderung nach der Entkriminalisierung von Homosexualität regelmäßig erneuerte. Der Paragraf 129 Ib wurde schließlich mit der Strafrechtsreform von 1971 aus dem Gesetzbuch gestrichen, dabei allerdings durch vier neue Strafbestimmungen zur Homosexualität ersetzt, von denen eine, der Paragraf 209 StGB, bis zum Jahr 2002 in Geltung blieb.
Die 1926 gegründete und nach ihrer 1938 erfolgten Auflösung 1945 wiederbegründete Österreichische Liga für Menschenrechte ist die älteste Menschenrechtsorganisation des Landes. Ihr Archiv wird seit 2017 vom Zentrum QWIEN als Dauerleihgabe aufbewahrt und ist für die wissenschaftliche Forschung zugänglich. Nähere Informationen zur Liga und ihren gegenwärtigen Aktivitäten finden sich auf ihrer Webseite: http://www.liga.or.at/.
Über das Eintreten der Liga für Homosexuellenrechte informieren der Aufsatz von Christopher Treiblmayr: „… mit dem heutigen Begriffe der Menschenrechte unvereinbar“. Zum Engagement der Österreichischen Liga für Menschenrechte für Homosexuelle, in: Mitteilungen der Magnus-Hirschfeld-Gesellschaft 55/56 (2016), S. 50–65, sowie ein Videovortrag von Thomas Tretzmüller im Rahmen der Reihe QWIEN lectures – https://youtu.be/UjSrjdDtAMg.