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Æther #8 – Queer Vienna: Einblicke in ein Bewegungsarchiv

Auch wenn Queerness und LGBTQIA+ Themen immer mehr in der Mainstreamgesellschaft Platz bekommen, sehen wir auch gleichzeitig mehr Politisierung und Bekämpfung von Grundrechten, die seit Jahrzehnten eingefordert worden waren. so wurden zuletzt Lesungen von Dragqueens für Kinder von der Rechten in Österreich als gefährlich eingestuft, Trans* Menschen werden global Thema für konservative Streitkräfte und queer-feministische Anliegen werden oft unter dem Deckmantel des „Genderwahn“ illegitimisiert.

Æther #8 heißt ein Projekt das sich diesen Entwicklungen entgegensetzen will, indem es die Archive der Emanzipationsbewegung aktiviert und für die Öffentlichkeit zugänglich macht. In großen, staatlichen Archiven sind Materialien zur queeren Geschichte oft verborgen und können nur von Historiker*innen und Forscher*innen genutzt werden. Deshalb entstanden europaweit immer mehr Community-Archive, die speziell die LGBTIQ-Bewegung dokumentierten. Sie sammeln Nachlässe und Memoiren, abwägende Infoblätter und polemische Banner, Kunst und Kitsch, aber auch Alltägliches wie einerseits Vereinsprotokolle oder andererseits Pornographie. Sie speichern Erfolgsgeschichten, aber auch historische Rückschläge wie die Vernichtung emanzipatorischer Bewegungen der 1920er- und frühen 1930er-Jahre in Deutschland und Österreich durch die NS-Diktatur. Community-Archive sind meist jünger und prekärer finanziert als etablierte Archive, sind dafür aber oft gut vernetzt, medienaffin und niederschwellig zugänglich.

Vor allem besteht die Wichtigkeit dieser Räume, eine Geschichte gegen den Mainstream und Heteronormativität zu schreiben und um einen ganzheitlichen Blick auf die Diversität menschlicher Identitäten zu bieten. Und das nicht nur für die Community selbst.

Das Projekt Æther #8 das im Zusammenhang mit einem Forschungsseminar am Institut für Geschichte der Universität Wien und QWIEN entstanden ist, erkundet 11 Fundstücke des Archivs. Sie eröffnen so einen Blick auf die Bestände von QWIEN, indem sie Geschichten aus dem Material herausarbeiten, die teils noch nie erzählt worden sind. Gleichzeitig bieten sie elf Ausblicke aus diesem Bewegungsarchiv heraus, durch die die Geschichte Österreichs in ungewöhnlicher Perspektive erscheint.

  • Livia Suchentrunk beginnt mit zwei verbogenen Alu-Stangen, die sich als Relikt einer doppelten Gewalterfahrung herausstellten: der Verfolgung Homosexueller während der Nazizeit und der Polizeigewalt bei einer Kundgebung im österreichischen „Bedenkjahr“ 1988, als Aktivist*innen die Anerkennung Homosexueller als Nazi-Opfer forderten.
  • Eine ähnliche Erfahrung hat die Autorin des zweiten Beitrags Sarah Kresser gemacht, als sie den Krümelspuren eines Lebkuchens in Rosa-Winkel-Form nachging, der sogenannten „Mahntorte“.
  • Sophie Wagner setzte sich im friedlichen Archivraum mit der Datenbank der »Namentlichen Erfassung der homosexuellen und transgender Oper des Nationalsozialismus«, die von QWIEN in den letzten zehn Jahren angelegt wurde, auseinander und sah sich mit hunderten aufwühlenden Einzelschicksalen konfrontiert.
  • Alice Wüstinger stieß im Archiv auf eine Broschüre des Direktors der Grazer Universitätsbibliothek Dr. Wolfgang Benndorf mit dem Titel »Unvernunft und Unheil im Sexualstrafrecht« (1956) und fand dessen Argumentation sowohl fortschrittlich wie auch verstörend.
  • Nina Kramer beschreibt im fünften Beitrag wie 1957 Nationalratsabgeordnete, Mediziner, Rechts- und Sexualwissenschaftler über eine Reform des Strafrechts und die Frage der Entkriminalisierung von Homosexualität berieten.
  • Rabea Otto stellt sich den Fragen, was bewegte die »CO-Schwestern« Mitte der 1970er-Jahre und wie setzten sie sich in den Diskussionen über ihre Ausrichtung mit zeitgenössischen linken und feministischen Bewegungen auseinander?
  • Einen weiteren institutionellen Nachlass nahm sich Joanne Becker für den siebten Beitrag zur »Rosa Lila Villa« vor, das 1982 besetzte erste Lesben- und Schwulenhaus Wiens.
  • Nike Kirnbauer, Autorin des achten Beitrags, zeichnet den österreichischen Weg nach, die AIDS-Krise in der Frühzeit der Pandemie zwischen 1983 und 1985 zu meistern.
  • Beitrag Nummer neun von Katharina Kührner und Andreas Brunner beschäftigt sich mit der Trauerkultur, die zur Bewältigung der AIDS-Krise von queeren Communities entwickelt wurde.
  • Katharina Pagitz verfolgt im zehnten Beitrag die Spur zweier weißer Smokings aus einer durchzechten Nacht, als Alkis Vlassakakis und Peter Holub auf dem 5. Wiener Life Ball 1997 die dort versammelte Prominenz aufforderten, ihre selbstgeschneiderten, papierenen Anzüge zu signieren.
  • Ein Fußball aus Schaumstoff, der ebenfalls mit Unterschriften versehen ist, führte Margot Kreutzer in die gewollt absurde Welt der Wiener Tunten und dem Tuntathlon.

Dieser Band bietet somit elf neue Blickwinkel auf die österreichische Gesellschaft. Er bietet Einblicke in die queere Geschichte selbst und zeigt, wie sich Menschen gegen das »Archiv der Heterosexualität« wehrten.

Queere Archive sind dabei nicht nur Orte, an denen sich Minderheiten ihrer selbst vergewissern. Sie sind Orte, an denen man studieren kann, wie sich Mehrheiten ändern.

Ab 2. Mai 2023 online: aether.ethz.ch

Book Launch: 25. Mai 2023, 19.00 Uhr, Marea Alta, Gumpendorfer Straße 28, 1060 Wien

Das Buch ist hier erhältlich: https://www.loewenherz.at/index_lw_nr.php?LWNR=22250

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