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Queerulieren. Störmomente in Kunst, Medien und Wissenschaft

Ein Sammelband mit fünfzehn Essays zur subversiven Kraft des Queer-Begriffs, wenn man ihn nicht als Identitätszuschreibung sondern als Handlungsmaxime versteht. Gelesen und für gut befunden von Tara Prochaska

In dem Sammelband „Queerulieren. Störmomente in Kunst, Medien und Wissenschaft“ prägen die Autor*innen den Begriff des Queerulierens: einer Art der dekonstruktiven Störung, welche zum Aufbrechen hegemonialer Machtstrukturen beitragen soll. In fünfzehn Essays werden die bestehenden Normen in Bereichen der Kunst, Medien und Wissenschaft hinterfragt und Impulse für ein Umdenken dieser gegeben. Durch den Einsatz „störender“ Sprache wird diese als ein Mittel für gendergerechten Aktivismus instrumentalisiert. So werden beispielsweise Kategorien wie Mann und Frau mit einem Asterisk markiert oder auflistende Akronyme wie LGBTIQ oder LSBT*I*+ durch GSAM (genderbezogen, sexuell und amourös marginalisierte) ersetzt. Der Begriff Queerulieren selbst spielt dabei auf das populistische Querulieren selbsternannter Querdenker*innen zu COVID Zeiten an. Die Autor*innen sehen Störung als eine multidimensionale Methode. Dem Begriff Queer, welcher durch neoliberale Kommerzialisierung immer weiter seines radikalen Potentials beraubt wird, soll die Funktion als kritischer Ansatz zu Gesellschaftsstrukturen durch das Queerulieren zurückgegeben werden. Queer wird dabei als eine Praxis und nicht als Identitätsbegriff verstanden. Verschiedene Bereiche, welche von mikropolitischem Potential über Anwendung in künstlerischen Arbeiten bis hin zu einer neuen Art der Wissensproduktion reichen, gilt es in den vielfältigen Texten des Sammelbandes zu erkunden.

Im ersten Teil des Buches wird nach Theorien und Praxis des Queerulierens gefragt. So könnten queerulierende Praktiken beispielsweise in der Kunstvermittlung angewandt werden, um bestehende binäre Denkweisen und Harmonisierungsansprüche aufzubrechen. Der zweite Teil widmet sich Störmomenten in bildlichen und textuellen Bereichen. Provokative Kunst, Texte und Inszenierungen, welche mit Konstrukten wie Genderidentität und Sexualität spielen, stehen hierbei im Vordergrund. Zudem wird mit karnevalesken Ausdrucksweisen (extravaganten Kostümen, Maskierungen) in politischen Räumen gearbeitet. Abschließend werden in einem dritten Teil (audio-)visuelle Störmomente interpretiert, beziehungsweise reinterpretiert. Die Darstellung von Wut in diversen Videos und Filmen wird im Bezug auf den Genderaspekt dieser Störmomente analysiert. In einem weiteren Beitrag werden queerulierende Potenziale im Umgang mit kulturellen Artefakten dargelegt. Verschiedene Auffassungen eines Kunstwerks werden hier in ein Verhältnis zueinander gestellt und in Verbindung zu Geschlechterkategorien, Fremderfahrungen und kolonialen Repräsentationen gebracht. Die Beiträge des Sammelbands reichen von wissenschaftlichen Arbeiten über Essays und Gedichten zu Zines und Collagen. Sie demonstrieren die vielfältigen Anwendungspotenziale des Queerulierens und zeigen auf, wie die diversesten Bereiche von einem Aufbrechen hegemonialer Strukturen und einer kritischen Hinterfragung des Status quo profitieren können.

Queerulieren eröffnet neue Perspektiven auf bestehende Umstände in vielen Bereichen. Es handelt sich um eine fundamental widerständige Praxis, welche Impulse für die Zukunft kultureller und wissenschaftlicher Praktiken gibt, die eine Aufhebung bestehender Machtstrukturen anstrebt. Der Sammelband beschäftigt sich mit diesem komplexen Prozess und setzt daher ein gewisses Vorwissen zu den behandelnden Themen voraus. Besonders geeignet ist er für angehende Queerdenker*innen, welche sich auf der Suche nach neuen Ansätzen für Kunst- und Kulturforschung nicht vor ambitionierten Methoden und philosophischen Fragestellungen scheuen.

Oliver Klaassen, Andrea Seier (Hg.), Queerulieren. Störmomente in Kunst, Medien und Wissenschaft. Berlin: Neofilis 2024 (erhältlich bei Löwenherz)

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