
Neu eingetroffen – Geschichte und Erinnerungskultur
Tara Prochaska empfiehlt vier neu eingetroffene Bücher, welche sich mit verschiedenen Aspekten queerer Geschichte und Erinnerungskultur auseinandersetzen. Klaus van Eickels und Christine van Eickels schreiben eine Überblicksgeschichte männlicher Homosexualitäten von der Antike bis heute. Magda Borysławska befasst sich mit einem Aspekt homosexueller Geschichte: Homosexuellenverfolgung im Dritten Reich und die Erinnerung an ihre Opfer. Erinnerungskultur steht auch in Mittelpunkt der Publikation Sébastien Tremblays. Er diskutiert den Rosa Winkel als globales Symbol der Erinnerung mit einem Fokus auf seine Bedeutung und Geschichte.
Klaus van Eickels, Christine van Eickels (Hrsg.): Sodomiter, Päderasten, Homosexuelle. Mann-männliches Begehren und homosexuelles Handeln von der Antike bis zur Ehe für alle. Bamberg: University of Bamberg Press 2024 (bei Löwenherz erhältlich)
In diesem ersten Band der Reihe Editionen und Studien zur Geschichte der Sexualitäten befassen sich mehrere Historiker:innen mit mann-männlichen Homosexualitäten in der Geschichte. Die Beiträge reichen von der Antike bis zur Gegenwart und von der Weimarer Republik bis zur heutigen islamischen Welt. Zu Beginn des Sammelbandes diskutiert Klaus van Eickels den Wandel von Wahrnehmungen homosexueller Handlungen im vormodernen Europa und damit auch die Problematik einer unreflektierten Projektion des Begriffs „homosexuell“ auf die Vergangenheit. Die darauffolgenden Beiträge bieten geographisch verteilte Einblicke in die verschiedensten historischen Abschnitte.
Joachim Kügler beschäftigt sich mit dem Verhältnis zwischen historischen Gesellschaften und biblischen Texten mit Bezug auf mann-männliche sexuelle Handlungen. Jan B. Meister stellt antike Männlichkeiten und Vorstellungen männlicher Sexualitäten in den Fokus seines Beitrags. Sabine Freitag vergleicht die Fälle der beiden homosexuellen Monarchen Ludwig II. von Bayern und Karl I. von Württemberg. Norman Domeier stellt neue Fragen zum Eulenburgskandal 1907-1909. Stefan Micheler zieht Zeitschriften der Weimarer Republik heran, um homosexuelle Identitäten zu erforschen. Alexander Zinn handelt neue Erkenntnisse und Debatten zu Homosexualität im Nationalsozialismus ab. Muslimische Diskurse und islamisches Recht im Bereich des mann-männlichen Begehren bis in die Gegenwart werden von Serena Tolino beleuchtet. Abschließend schreibt Arash Guitoo zu mann-männlichen Begierden und gesellschaftlichen Haltungen gegenüber Homosexualität im Iran.
Eine Vielfalt an Bereichen der männlich homosexuellen Geschichte wird in Sodomiter, Päderasten, Homosexuelle aufgegriffen: eine Bereicherung für alle, die sich für globale queere Geschichte interessieren.
Magda Borysławska: Von der Stigmatisierung zur Massenvernichtung. New York u.a.: Peter Lang 2024 (bei Löwenherz erhältlich)
Die studierte Germanistin und interdisziplinäre Diskursforscherin Magda Borysławska setzt sich in diesem Werk, welches Teil der Reihe Lodzer Arbeiten zur Literatur- und Kulturwissenschaft (hrsg, Joanna Jablowska, Kalina Kupczynska, Arthur Pelka) ist, mit der Verfolgung homosexueller Männer im Nationalsozialismus auseinander. Dabei stützt sich die Arbeit auf einen großen Literaturkorpus und persönliche Dokumente. Es wird die These formuliert, dass moralische Panik der Grund für die Stigmatisierung homosexueller Männer war und aufgezeigt, wie diese im Laufe des Zweiten Weltkrieges zu einer systematischen Massenvernichtung führte. Für diese Diskussion sind nicht nur historische Fakten, sondern auch die ihnen zugrunde liegenden Mechanismen und Diskurse von großer Relevanz.
Dieser Band öffnet durch das Heranziehen verschiedener Quellen und Einsetzen soziologischer Methoden neue Perspektiven auf die Verfolgung homosexueller Männer im Nationalsozialismus und die dahinter gelegenen vielschichtigen Prozesse.
Sebastien Tremblay: A Badge Of Injury. The Pink Triangle as Global Symbol of Memory. Berlin/Boston: De Gruyter Oldenburg 2024.
Im Mittelpunkt dieses zweiten Bandes der Reihe Transnational Queer Histories (hrsg. Bodie A. Ashton und Sabrina Mittermeier) steht der Rosa Winkel als Symbol für Erinnerung der homosexuellen Opfer des Nationalsozialismus. Mit dem Rosa Winkel als roten Faden hantelt sich der Autor von seiner Entstehungsgeschichte über den Gebrauch als Erkennungszeichen homosexueller Häftlinge in Konzentrationslager bis zu seiner heutigen Verwendung. In Zuge dessen erhält der Rosa Winkel mehrere Bezeichnungen, welche seine Konnotation in verschiedenen Kontexten anschaulich machen sollen – ein Abzeichen der Erinnerung, Narrative, Inklusion, Exklusion, Universalisierung, Vergänglichkeiten, des Überlebens. Methodisch sprengt Tremblay durch den Fokus auf ein Symbol, welches auf der ganzen Welt Verwendung fand, nationale Grenzen und leistet somit nicht nur einen Beitrag zum Bereich queerer Geschichte, sondern auch der globalen Geschichte mit einem Fokus auf Aktivismus und Erinnerungskulturen. A Badge Of Injury grenzt sich zudem von der Tradition einer Euro-Amerikanischen Geschichtsschreibung und Binaritätsdenken in der queeren Geschichte ab. Nicht nur der Rosa Winkel wird reflektiert, sondern auch die historischen Landschaften und Diskurse, in welchen er sich bewegte. In Tremblays Arbeit repräsentiert der Rosa Winkel eine Möglichkeit, viele verschiedene Aspekte queerer Geschichte zu analysieren und Hegemonien zu dekonstruieren.
A Badge Of Injury bietet interessante Einblicke in die Geschichte des Rosa Winkels und größere transnationale Prozesse, in welchen das Symbol verschiedene Bedeutungen hatte. Eine interessante Arbeit, welche eine große Bandbreite an wichtigen Bereichen queerer Geschichte behandelt.
Glam – Performance – Drag – Critical Queerness – Camp. Neue Rundschau (135. Jahrgang, 2024, Heft 2). Frankfurt: S. Fischer 2024 (bei Löwenherz erhältlich)
„Heteronormative Grenzen sprengen“ lautet die Devise für diese Ausgabe der altehrwürdigen Literaturzeitschrift Neue Rundschau, in der schon Texte von Thomas Mann u.ä. publiziert wurden. Ein Blick in das aktuelle Heft empfiehlt für alle literaturbegeisterte Leser:innen, die sich auf die verschiedensten Themen und Textsorten einlassen wollen.
Glam – Performance – Drag – Critical Queerness – Camp sind die Schlagworte, mit denen sich die dreizehn Beiträge in dieser Ausgabe befassen. Zwischen diesen Texten zu georgischem Drag, Barbie und ihren Bezug zu Susan Sontags bahnbrechendem Essay zum Camp-Begriff, Mode der Literaturwelt und Prosa mit queeren Thematiken finden sich immer wieder kurze Gedichte des queeren Aktivisten Rosa von Praunheim und Fotos aus dem Archiv des französischen Regisseurs Sébastien Lifshitz. Eine bunte Mischung, die anregt sich mit manchen Fragen weiter zu beschäftigen.