Zweimal Anita Berber

Ein erzählendes Sachbuch und eine Romanbiografie widmen sich dem kurzen und skandalumwitterten Leben der Tänzerin und Diva Anita Berber. Anna Sacher hat sie gelesen.

Sextropolis

Armin Fuhrer verfasste eine literarische Biografie über die Schauspielerin, Nackttänzerin und Diva Anita Berber. Mit dem Titel Sextropolis stellt Fuhrer die sexuelle Freiheit, die zumindest Teile der Metropole Berlin während der Weimarer Republik erfasst hatte, thesenhaft parallel zu Anita Berbers Lebensgeschichte. Berühmt wurde Berber in Sphären des Ausdruckstanzes und des Films – privat lebte sie offenkundig ihre Bisexualität aus und das mit einer seinerzeit skandalösen Promiskuität. Ihr exzessiver Drogen- und Alkoholkonsum begleitete ihren selbstbestimmten Lebensstil und trug seinen Teil zu Berbers frühem Tod mit 29 Jahren bei.

Die Biografie zur Berliner Künstlerin eröffnet mit einer Episode aus Wien. Für mehrere Gastspiele im Wiener Konzerthaus eingeladen, ging Berber später auch auf Europatournee. Mit dem Filmregisseur Richard Oswald drehte sie ebenfalls mehrere Filme in Wien und arbeitete mit ihm unter anderem für Anders als die Andern (1919), einem der ersten Filme, die Homosexualität offen thematisierten und an dem auch der Sexualforscher Magnus Hirschfeld beteiligt war, zusammen. So wurde Berber nicht nur auf Bühnen, sondern auch in Kinos im deutschsprachigen Raum bekannt und erarbeitete sich einen Ruf als Diva. Als Tänzerin in Fritz Langs Metropolis (1927) beendete sie mit einem ihrer letzten Filmauftritte ihre Schauspiel-Karriere.

Neben Filmstills ihrer Arbeit als Schauspielerin beinhaltet Armin Fuhrers Buch Fotografien und Zeichnung, die auf visueller Ebene Einblicke in die Zeit, zu Berber selbst und ihren Weggefährt*innen bieten. Anhand von Zitaten aus Zeitungsberichten, Theaterkritiken, Interviews und anderen Biografien beschreibt Fuhrer in Sextropolis das erwachsene Leben von Anita Berber. Er ergänzt mit eigenen Kontextualisierungen und bettet die Biografie in die Zeitgeschichte der 1920er Jahre ein. Berbers Leben wird nicht streng chronologisch geschildert, mit einem Fokus auf detaillierte Passagen ihrer Biografie lässt Fuhrer ein Gefühl für die Persona der Anita Berber entstehen. So tritt vor allem der schmale Grat zwischen anerkannter Kunst und skandalösem Tratsch hervor, auf dem Berber ihre ganze Karriere über zu balancieren hatte. Fuhrers Biografie lässt sich dabei lesen wie ein mitreißender Roman.

Der ewige Tanz

Steffen Schroeder hat in diesem Frühjahr einen Roman über Anita Berber veröffentlicht und schreibt in Der ewige Tanz ebenfalls über Berbers Spagat zwischen Hochkultur und Skandalkunst. Schroeder erzählt Berbers Lebensgeschichte mit ihr als Hauptfigur. In Anlehnung an biografische Eckpunkte teilt sich die Geschichte in zwei zeitliche Perspektiven– zum einen der chronologische Verlauf von Berbers Lebens, zum anderen springt die Geschichte immer wieder zur schwerkranken Berber ins Berliner Bethanien Krankenhaus 1928, kurz vor ihrem Tod. Hier wird sie unter anderem von Magnus Hirschfeld besucht; sie sinnieren über geteilte Erlebnisse und die Gegenwart vor den Krankenhaustoren, wie den aufstrebenden Star Marlene Dietrich.

Die Gedanken der sterbenden Berber heben assoziativ einzelne Erlebnisse hervor, die über Berbers Werdegang als Ausdrucks- und Nackttänzerin sowie als Schauspielerin erzählen. Dabei lassen sich vor allem ihre künstlerischen Ideale herauslesen, wie sie die Prüderie der älteren Generationen ablehnt und Berühmtheiten wie Fritz Lang kritisch die Stirn bietet. Ihre eigenen Fehltritte, die Drogen- und Alkoholsucht stehen weniger im Fokus und werden eher zum Ende des Buches in der Erzähldimension der erkrankten Sterbenden deutlich.

Als Lesende*r die Perspektive von Berber einzunehmen, lässt eine Emotionalität aufkommen, die in einer reinen biografischen Schilderung außen vor bleibt. So im Besonderen bezogen auf die enge Beziehung zur Großmutter, das gebrochene Verhältnis zum Vater und Berbers Gefühle für ihre weiblichen und männlichen Geliebten. Schroeder schreibt einen unaufgeregten, aber spannenden Roman, der nicht nur Einblick in Anita Berbers Leben gibt, sondern auch in die politischen und gesellschaftlichen Verhältnisse ihrer Zeit.

Armin Fuhrer, „Sextropolis. Anita Berber und das wilde Berlin der Zwanzigerjahre“. Berlin: BeBra Verlag 2024. (erhältlich bei Löwenherz)

Steffen Schroeder, „Der ewige Tanz“. Berlin: Rowohlt 2025. (erhältlich bei Löwenherz)

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