EIN INTERVIEW MIT ROSA VON RADICALQUEER
ÜBER DIE BUDAPEST PRIDE 2011
Sara: Hallo Rosa, danke für das Interview! Die Gruppe Radicalqueer fuhr aus Solidarität am 18.6.2011 zur Budapest Pride, die für zwei von den Aktivist_innen besonders schlimm ausgegangen ist. Möchtest du vielleicht vorab etwas zu den Radicalqueers sagen? Was für eine Gruppe seid ihr, was sind eure Ziele?
Rosa: Radicalqueer ist keine feste Gruppe, sondern ein mehr oder weniger loses linksradikales Bündnis bzw. eine Vernetzung. Wir versuchen, queer-feministische Schwerpunkte zu setzen, da wir denken, dass queer-feministische Themen leider immer noch in der radikalen Linken vernachlässigt werden. Daher haben wir aus queer-feministischer Sicht Kritik an Burschenschaften geübt, eine Info-Veranstaltung zum Macker Massaker, das sich mit kritischen Männlichkeiten auseinandersetzt, organisiert oder eben die Anreise zur Budapest Pride arrangiert. Die Wiener Teilnehmer_innen gehörten somit nicht alle zu unserer Gruppe.Wir waren sozusagen ein bunter Haufen, der sich mit der Budapest Pride solidarisch zeigen wollte.
Sara: Habt ihr euch und die mitfahrenden Aktivist_innen schon im Vorfeld bzw. im Bus vorbereitet für den Fall, es könnte euch etwas passieren?
Rosa: Für einige der Teilnehmer_innen war dies nicht die erste Budapest Pride, und es gibt auch Kontakte zu Aktivist_innen in Budapest. Insofern war uns die Gefahrenlage durchaus bewusst, dennoch hätte die konkrete Vorbereitung wohl umfangreicher ausfallen können. Diesbezügliche Reflexion haben wir schon gestartet, sodass wir in Zukunft besser agieren können.
Sara: Wie verlief die Pride selbst? Gab es da auch schon Zwischenfälle?
Rosa: Die Pride selber verlief verhältnismäßig entspannt, die Stimmung war durchwegs gut. Die Gegendemonstrant_innen waren erst beim Abschluss vor dem Parlament relativ nah und präsent. Die von der rechtsextremen Organisation „64 Burgkomitate Jugendbewegung“ (HVIM) angemeldete Gegendemonstration am Oktogon führte dazu, dass die Pride umgeleitet wurde. Direkten Kontakt gab es mit den Gegner_innen nicht, die Polizei hat für großzügige Distanzen gesorgt. In den Seitenstraßen waren die Anrainer_innen durchaus auch offen sympathisierend, wenngleich auch einige keinen Zweifel ob ihrer Homophobie ließen. Während der Parade bekommt mensch jedoch auch schwer mit, was gleichzeitig außerhalb passiert. So haben wir beispielsweise erst nach der Parade erfahren, dass an die 100 Gegendemonstrant_innen durch die Polizeiabsperrungen durchbrechen wollten.
Sara: Auf dem Weg zurück zum Bus hat euch dann eine Gruppe von 15 Neonazis mit Sprays attackiert und später bei der Polizei behauptet, es wäre genau umgekehrt gewesen. Daraufhin wurdet ihr aus dem Bus gezerrt und den Neonazis zur Identifikation vorgeführt. Wurden Aktivist_innen verletzt?
Rosa: Der Spray hat bei mehreren Personen zu Hautreizungen und Brennen im Hals geführt. Er war wohl auch dazu gedacht eine Gegenreaktion zu provozieren. Ein paar Aktivist_innen wurden leicht verletzt, als sie aus dem Bus gezerrt wurden. Glücklicherweise gab es aber keine gröberen Verletzungen. Viel gravierender war die vollkommen unverhältnismäßige Schikane der Polizei sowie die ständige und massive Präsenz der Neofaschist_innen.
Wir gehen mittlerweile auch davon aus, dass diese Aktion von Seiten der Neofaschist_innen auch nicht vollkommen spontan erfolgte. Kurz nach dem ausschlaggebenden Übergriff war schon der Jobbik Parlamentsabgeordnete Gyula György Zagyva, sowie die Anwältin Andrea Borbély vom Jobbik-Rechtshilfedienst vor Ort, und beharrten auf die Anzeige. Die systematische Täter[-]Opfer[-]Umkehr ist keine unbekannte Strategie der Jobbik zur Denunziation ihrer politischen Gegner_innen. Der Jobbik-Abgeordnete Gyula György Zagyva ist außerdem Ehrenvorsitzender der schon erwähnten „64 Burgkomitate Jugendbewegung“ (HVIM) und war ebenfalls bei der Gegendemonstration zugegen. Zagyva übte vor Ort Druck auf die Polizei aus – und diese leistete seinen Wünschen offensichtlich Folge. Damit wurde auch deutlich, dass die Polizei keine ernsthafte Unterstützung für LGBTIQ-Aktivist_innen ist, sondern viel eher Faschist_innen schützt. Derartige Kooperationen überraschen auch insofern nicht, da die größte Polizeigewerkschaft Ungarns die rechtsextreme TMRSZ darstellt. Schon 2009 wollten Jobbik und TMRSZ offiziell mittels Vertrag kooperieren. Dies scheiterte letztendlich jedoch aus rechtlichen Gründen.
Alles in allem war unser Vertrauen in die Polizeibehörden somit gering ausgeprägt, während wir gleichzeitig nur über wenige Kenntnisse der ungarischen Rechtslage verfügten.
Schließlich wurden wir unseren Angreifer_innen einzeln zu Gegenüberstellungen vorgeführt, die ja behaupteten, wir hätten zwei junge Frauen attackiert. Daraufhin wurden zwei Aktivist_innen aus Wien „identifiziert“. Dass wir somit letztendlich als die Angreifer_innen dargestellt – und auch so behandelt wurden – hatte dann doch einen etwas absurden Charakter.
Sara: Was passierte danach mit den zwei „Verdächtigen“? Sind einige von euch vor Ort geblieben? Wie ging es Ihnen in der Haft? Bzw. wie geht es ihnen jetzt?
Rosa: Die zwei Aktivisten wurden auf die Polizeistation mitgenommen. Der ganze Bus hat dann an einem anderen Ort bis ungefähr 3:00 morgens auf ihre Freilassung gewartet. Als zu diesem Zeitpunkt noch immer nicht einschätzbar war, wann sie die Polizeistation verlassen können, blieb nur mehr eine kleine Gruppe vor Ort und der Rest ist nach Wien zurück gefahren.
Die Inhaftierten allein vor Ort zurückzulassen war für uns keine Option. Gerade weil es jede_n treffen hätten können. Jede_n aus unserer Gruppe, aber auch andere Teilnehmer_innen der Pride im Allgemeinen. In manchen Medien wurde der Diskurs dann auch stark nationalisiert, obwohl die Tatsache, dass wir aus dem Ausland angereist waren, für diesen Vorfall irrelevant war. Insofern besteht nicht nur ein persönliches Interesse an einer Richtigstellung des Sachverhaltes. Wir sehen ebenso eine gewisse Notwendigkeit, anhand von unserem Fall auch die (ungarische) LGBTIQ Bewegung zu unterstützen, indem wir darauf beharren, dass „Hate Crimes“ auch als solche benannt und sichtbar gemacht werden. So werden beispielsweise homo- und transphobe Übergriffe oft als „Milieuverbrechen“ verhandelt, sobald es sich bei der Betroffenen um eine_n Sexarbeiter_in handelt. In unserem Fall ist hier zumindest ein ähnliches Prinzip am Werk: Wir werden, vor allem von rechten, aber auch von manchen Mainstream-Medien, als „Demo-Tourismus Antifas“ inszeniert. Abgesehen davon, dass dadurch der Begriff „Antifaschismus“ eine anrüchige Konnotation erhält, verschwindet die ausschlaggebende homo- und transphobe Komponente völlig.
Auch von Seiten der Polizei wurden die beiden Aktivisten die ganze Zeit als „Verdächtige“ behandelt. In Haft mussten sie über mehrere Stunden warten, bis sie überhaupt zur Befragung aufgerufen wurden. Momentan geht es ihnen, den Umständen entsprechend, gut.
Sara: Wie geht’s jetzt weiter? Ihr versucht ja alles damit die Anzeige fallen gelassen wird. Wie realistisch ist es, dass es wirklich dazu kommt?
Rosa: Derzeit ist die rechtliche Situation noch schwer einzuschätzen. Einerseits haben wir noch relativ wenig Einblick in die juristische Praxis in Ungarn, andererseits stellt bereits die Übersetzung eine Schwierigkeit dar – gerade bei juristischen Feinheiten. Wir hoffen natürlich, dass das Ermittlungsverfahren eingestellt wird und es zu keiner Anklage kommt, wie realistisch das ist trauen wir uns derzeit aber nicht einzuschätzen.
Sara: Werdet ihr von ungarischen LGBTI-Organisationen unterstützt?
Rosa: Ja, wir werden in vielfältiger Weise von LGBTIQ-Organisationen und -Aktivist_innen in Ungarn unterstützt. Wir stehen zum Beispiel im Kontakt mit den Organisator_innen der Budapest Pride, der Rainbow Mission Foundation, die am Dienstag für uns eine Presseaussendung veröffentlicht hat. Aktivist_innen von Labrisz helfen uns bei der Öffentlichkeitsarbeit durch Übersetzungen. Aber auch im Vorfeld der Budapest Pride hatten wir Kontakt mit den Organisator_innen und auch direkt nach dem Angriff hatten wir vor Ort massive Unterstützung, von Rechtshilfe durch Patent und Nane, über Unterstützung mit Wasser bis zu Übersetzung. Dieser Support war und ist für uns unglaublich wichtig, wir sind sehr dankbar dafür!
Sara: Was wünscht ihr euch an Support von österreichischer LGBTI-Seite?
Rosa: Sollte es tatsächlich zu einem Prozess kommen, würde sich für uns auch eine neue Situation ergeben. In diesem Falle wären wir dann für Know-how im rechtlichen Umgang, aber auch einfach für solidarische Unterstützung, offen und dankbar. Momentan ist es uns wichtig, dass die homophoben und transphoben Motive der Angreifer_innen im Fokus der Darstellungen bleiben, und keine Nationalisierung der Thematik erfolgt.
Außerdem steht auch außer Frage, dass wir wieder zur Budapest Pride fahren werden! Und wir würden uns natürlich freuen, wenn wir nächstes Jahr ein noch größerer Haufen sind!
Ich bedanke mich bei Rosa von radicalqueer für die zur Verfügung gestellte Zeit und Energie, QWien von der Repression bei der Budapest Pride 2011 zu erzählen!
Abbildungsverweis: http://raw.at/texte/sonstiges/bppride2011.htm