Der Deutsche Kunstverlag stellt in seiner Reihe „Leben in Bildern“ zwei schwule dänische Autoren vor. Eine Lektüre mit Gewinn.
Die beiden wichtigsten dänischen Autoren auf dem Weg zur Moderne, Hans Christian Andersen und Herman Bang, waren schwul. Wobei, das ist etwas leichthin gesagt. Andersen traf auf einer seiner vielen Reisen den österreichisch-ungarischen Schriftsteller Karl-Maria Kertbeny, der 1867 erstmals die Bezeichnung „homosexual“ verwendet hat. Nicht einmal von homosexuell war zu Andersens Lebzeiten die Rede, erst Bang sollte dieser Begriff geläufig werden. Mit „schwul“ und allem, was wir heute damit implizieren, hätte beide wenig anfangen können. Trotzdem steht in beiden großformatigen Bildbiografien die Homosexualität der Autoren im Zentrum, weil sie als Antrieb für ihr Schreiben gesehen wird. Der ausgewiesene Andersen-Experte Heinrich Detering zeigt anhand vieler Texte aus allen Genres, die Andersen pflegte, ob Lyrik, Märchen, Roman, Drama oder Reisebereicht, dass die Einzigartigkeit dieser Werke in einer Wahrnehmung des Anderssein liegt, die auch eine Renitenz – Detering betont sie mehrmals – aufweist, die ihn gegen die Mächtigen anschreiben lässt. Obwohl als Günstling des Adels und reichen Großbürgertums verschrieen – der Dichter besaß zeitlebens keine eigene Wohnung, sondern lebte nur bei Förderern in Logis – stand Andersen immer auf Seiten der Unterdrückten, verpackte seine Kritik aber geschickt in seine Märchen und Romane, nur ein spätes Märchen ließ er auf Grund der harschen Gesellschaftskritik nur auf englisch erscheinen: das einzige publizierte Werk des Dichters, das erst posthum in Dänemark erschien. Andersen wusste warum. Um die Zeit als die Gebrüder Grimm noch immer ihre Kinder- und Hausmärchen sammelten, schuf Andersen mit seinen Kunstmärchen eine Form, die später Oscar Wilde und andere anregten. Immer an den Neuigkeiten der Zeit interessiert – so besuchte er auch die Weltausstellung 1867 in Paris und verarbeitete sie literarisch – hatte er auch ein Sensorium für unterschwellige Themen. So thematisiert Andersen erstmals in einem Märchen Selbstmord und kritisiert die Menschenverachtung des frühen Kapitalismus. Seine Märchen haben nicht die archaische Grausamkeit der Grimm’schen, sie sind direkt und aktuell, denn oft spielen die Geschichten in der Gegenwart. All dies stellt Detering als mit Andersens Empfinden verknüpft dar, er zeigt ihn als einen Schriftsteller, der aus einer tiefen Verzweiflung schöpfte, weil er sein wahres Empfinden nie richtig ausleben konnte.
Nicht unähnlich erging es eine Generation später Herman Bang, dessen Romane auch im deutschsprachigen Raum gefeierte Erfolge wurden. Auch er wusste früh um sein Anderssein, hatte aber weniger Skrupel dieses auch auszuleben. Tuschelte man bei Andersen meist nur hinter vorgehaltener Hand, ging das von Bang in seinen satirischen journalistischen Arbeiten düpierte Bürgertum zum Angriff über und denunzierte Bang öffentlich. Um einer Verfolgung durch das Gericht zu entkommen, floh Bang nach Deutschland. Zuvor hatte er mit dem homoerotischen Künstlerroman MichaelAufsehen erregt. Der als Dandy geschmähte aber auch bewunderte Bang verfasste in Berlin unter Einfluss der Homosexuellen-Bewegung von Magnus Hirschfeld selbst seine Gedanken zum Sexualitätsproblem, die zwar erst zehn Jahre nach Bangs Tod veröffentlicht wurden, die aber „wie durch ein unterirdisches Röhrensystem (…) mit dem literarischen Werk Herman Bangs verbunden“ sind, wie Lothar Müller, der Autor der Bang-Biografie feststellt. Was die Form der großformatigen Bildbiografie gerade bei diesen beiden Autoren so reizend macht, beide hatten ein inniges Verhältnis zur Kamera und ließen sich gerne fotografieren. So gibt es von beiden zahlreiche Fotos, die in diesem Format besonders zur Geltung kommen. Erhältlich bei Buchhandlung Löwenherz
Heinrich Detering: Hans Christian Andersen. Berlin/München: Deutscher Kunstverlag 2011. ISBN: 978-3-422-07041-7, € 20,46
Lothar Müller: Herman Bang. Berlin/München: Deutscher Kunstverlag 2011. ISBN: 978-3-422-07042-4, € 20,46