Bevor es mit dem Reigen der Neuerscheinungen losgeht, stellt QWIEN noch einige Bücher, die bereits 2011 erschienen sind und die wir zur Besprechnung erhalten haben. Nicht alle fanden unseren ungeteilten Zuspruch, aber lesen Sie selbst.
Es ist eigentlich erstaunlich, dass es in dem in den letzten zwei Jahrzehnten ja weidlich beackerten Feld der Klaus-Mann-Forschung noch unentdeckte Winkel gibt. Aber es entspricht der vielfältigen Persönlichkeit Klaus Manns, dass sich seine Person und sein Werk immer wieder aus neuen Blickwinkeln und mit noch ungehobenen Quellen beleuchten lässt. Klaus‘ schwierige Beziehung zu seinem Vater Thomas ist Anlass zahlreicher Abhandlungen, anderswo konnte man dem schwul/lesbischen Schwesternpaar Erika und Klaus zu den Orten ihrer Triumphe, Liebschaften und Niederlagen folgen. Nur die Beziehung zu seinem Onkel Heinrich, dessen kompromisslosem Antifaschismus er politisch viel näher stand als der zaudernden Haltung seines Vaters, war im vielfach beleuchteten Familiengespinst der Manns unbeachtet geblieben. Das Herausgeberduo Inge Jens und Uwe Naumann editieren den schmalen Briefwechseln und ergänzen ihn als zusätzliche Quelle mit Tagebucheintragungen von Klaus, die sich auf Heinrich beziehen und die sie aus den Handschriften der Tagebücher zitieren, da die 6-bändige Edition nur etwa die Hälfte des Bestands dokumentiert. Ein lesenswertes Nachwort von Jens und Naumann und der ausführliche Kommentar der Briefe legen die fragile Beziehung von zwei schwierigen und verletzlichen Persönlichkeiten offen, die in der Öffentlichkeit den persönlichen Einsatz im Engagement gegen Hitler-Deutschland nicht scheuten, denen aber der Sieg über das NS-Regime keine neue Lebensenergie geben konnte.
Inge Jens/Uwe Naumann (Hrsg.): Klaus Mann. „Lieber und verehrter Onkel Heinrich“. Rowohlt 2011, € 20,51 (in der Buchhandlung Löwenherz)
Ratgeber zu spezifischen Fragen des Zusammenlebens haben oft das Problem, dass die Voraussetzungen in unterschiedlichen Ländern nicht gleich sind. So bietet der Ratgeber zu allen Rechtsfragen rund ums Zusammenleben eine umfassende Darstellung der rechtlichen Situation in Deutschland. Der Verdienst der Autorin Alexandra Gosemärker liegt darin, rechtliche Belange auch in einer für Laien verständlichen und nachvollziehbaren Sprache darzustellen. Zahlreiche Beispiele bringen Klarheit in mitunter verwirrende Vorschriften. In die erweiterte Neuausgabe wurden auch Kapitel über die rechtliche Situation in Österreich und der Schweiz beigegeben, doch ist der Umfang dieser Erläuterungen sehr beschränkt. Zehn Seiten zur rechtlichen Lage in Österreich stehen etwa 150 Seiten zu Deutschland entgegen. Wer sich aber grundsätzlich über die rechtlichen Bedingungen fürs Zusammenleben erkundigen will, ist mit Gosemärkers Buch bestens beraten. Im Zuge der zunehmenden Flexibilität auf dem Arbeitsmarkt, kann es zudem ratsam sein, sich über die rechtlichen Möglichkeiten in seiner neuen Heimat zu informieren, wenn man von einem EU-Staat in den anderen übersiedelt.
Alexandra Gosemärker: Erst Recht! Der Ratgeber zu allen Rechtsfragen rund ums Zusammenleben. Berlin: Querverlag 2011, € 15,32 (in der Buchhandlung Löwenherz)
Wie wenig wissen wir im Grunde über schwules oder lesbisches Leben früher! Der Druck der Verfolgung drängte Schwule und Lesben in den Untergrund und schüchterte sie nachhaltig ein, so dass auch nach Ende der „Verbotszeit“ wenige bereit waren, über ihre Erfahrungen zu sprechen. Umso wichtiger ist es dass Michael Bochow und Andreas Pretzel eine weitere Lebensgeschichte vor dem Vergessen gerettet haben. Walter Guttmann wuchs in einer deutschnational-jüdischen Familie in Duisburg auf. Nicht wenige Juden sahen das politische Heil im Deutschnationalismus, der ja grundsätzlich auch ohne Antisemitismus denkbar war. Und so ist Guttmans zweiter Vorname Siegfried. Schon früh entdeckt er sexuelle Spiele mit älteren oder gleichaltrigen Freunden, mit 14 besucht er regelmäßig öffentliche Toiletteanlagen, um Männer kennen zu lernen. 1943 wird er als Jude aus Amsterdam ins KZ Bergen-Belsen deportiert. Als das Nazi-Reich dem Untergang zutaumelte begannen für viele die Todesmärsche aus dem Lagern, so auch für Guttmann. Er überlebt auch jene, geht nach der Befreiung zurück nach Holland und später nach Palästina. Ein weiter Weg in einem Leben, von Guttmann selbst erzählt, einfach und berührend. Michael
Bochow/Andreas Pretzel (Hrsg.): Ich wollte es so normal wie andere auch. Walter Guttmann erzählt sein Leben. Hamburg: Männerschwarm 2011, Edition Waldschlösschen, € 14,39 (in der Buchhandlung Löwenherz)
Stephen Fry ist immer wieder für einen Skandal gut. Der britische Allrounder – er ist TV-Moderator, Schauspieler, Romancier, Drehbuchautor, Regisseur und Journalist – sagte vor zwei Jahren in einem Interview mit Attitude, dass die Sexualität von Frauen nur der Preis für eine Beziehung wäre. Männer (man sehen es an den Schwulen) würden Sex suchen, Frauen im Grunde ganz was Anderes. Solchen Topfen gibt es ab und zu auch in seinem neuen Buch, The Fry Chronicles, das auf deutsch den blöden Titel Ich bin so Fry. Meine Goldenen Jahre, bekommen hat, zu lesen. Dabei hätte man von Fry genausogut eine wortgewandte witzige Darstellung seines Lebens und Werdegangs erwarten können. Mit Der Lügner oder Geschichte machen brachte der Sohn eines englischen Naturwissenschaftlers und einer österreichischen Emigrantin ambitionierte, unterhaltende und spannende Bücher auf den Markt. Seine Abrechnung mit der katholischen Kirche (ein beeindruckender Apell, der auf youtube zu sehen ist) ließ auf eine philosophische Grundhaltung, auf eine seiner Gesellschaftskritik zugrunde liegende Wut schließen. Ich bin so Fry versammelt eher unorthodoxe Bemerkungen über Leben und Stil, es zeigt die Entwicklung eines Künstlers, dessen Bekanntheit großteils auf sein selbststilisiertes Anderssein zurückgeht. Und wie man so interessant wird, erfahren wir aus diesem Buch.
Stephen Fry: Ich bin so Fry. Meine goldenen Jahre. Berlin: Aufbau 2011, € 23,63 (in der Buchhandlung Löwenherz)
Bei Tagungsbänden hat LeserIn oft das Problem, dass die Beiträge mitunter sehr disparat sind, bei einem Thema wie diesem stört das insofern wenig, da es grundsätzlich sehr wenig Literatur gibt. Umso erfreulicher ist diese Sammlung an Aufsätzen, Protokollen und Thesenblättern über die vielfältigen Beziehungslinien zwischen Genderfragen und Fetisch, die einen weiten und auch einführenden Bogen spannt: Aufsätze zu identitätspolitischen und kulturanthropologischen Fragestellungen hinterfragen Modelle der Identitätsbildung und Erklärungsversuche für die „Entstehung“ von Fetisch. Die Beiträge über Kunst und Literatur verfolgen Genderfragen und Fetisch in künstlerischen Äußerungen. So eine lesenwerte Einführung von Marcus Stiglegger zu Fetischismus im Film oder Kerstin Brandes Aufsatz Queer/ing Kunst und Visuelle Kultur.
Martin Schneider/Marc Diehl (Hrsg.): Gender, Queer und Fetisch. Konstruktion von Identität und Begehren. Hamburg: Männerschwarm 2011, € 16,45 (in der Buchhandlung Löwenherz)
Männern, die sich homosexuell verhalten. aber in einer heterosexuelle Ehe leben, wurde in der psychologischen Forschung bisher wenig Beachtung geschenkt. Aus welchen Motiven gründen homosexuelle Männer heterosexuelle Familien? Suchen sie in einer solchen Beziehung Schutz vor Diskriminierung? Heilung von ihrem gleichgeschlechtlichen Begehren? Wie lebt man seine Homosexualität in einer heterosexuellen Ehe? Lüge? Arrangement? Und wie schaffen diese Männer, wenn überhaupt, ein Coming Out? Viele ungeklärte Fragen, die die Psychoanalytikerin Elisabeth Imhorst anhand von zehn Interviews mit Männern, die eine homosexuelle Praxis in einer heterosexuellen Ehe leben. Die Analyse dieser Interviews erfolgt auf zwei Ebenen. In einer Version wird die Lebensgeschichte mit all ihren Widersprüchen unkommentiert erzählt. Auf der zweiten Ebene interpretiert sie Imhorst psychoanalytisch und lässt dabei Rückschlüsse auf die psychosexuelle Entwicklung der einzelnen Männer zu.
Elisabeth Imhorst: Verheiratete homosexuelle Männer. Kassel: Kassel University Press 2011, € 40,09 (in der Buchhandlung Löwenherz)
Der Titel ist etwas irreführend, denn Kevin Clarkes Spaziergang durch die weiter Welt der schwulen Pornografie beginnt schon früher, bei ersten überlieferten Bildern, die im Untergrund gehandelt wurden, von ersten Filmen, die nie eine Kinoleinwand gesehen hatten. Schon vor Stonewall war aber schwule Pornografie vor allem eines: ein Geschäft. Magazine wie Physique Pictorial fanden reißenden Absatz, auch wenn sie für heutige Begriffe noch recht zahm waren. Tom of Finlands Kake Hefte wurden zu gesuchten Sammlerstücken. Mit der Pop Art wird Porno zum Kult. Nicht nur Avantgardefilme wie die von Jack Smith oder Pink Narcissus kamen in die Underground-Kinos, besonders Andy Warhol brachte mit Filmen wieLonesome Cowboys, Flesh oder My Hustler dem männlichen Körper an sich, dem Sex zwischen Männern, aber insbesondere dem Darsteller Joe Dallesandro Kultstatus. 1971 wurde der schwule Pornoklassiker Boys in the Sand von Wakefield Poole im der Filmbibel Varietyrezensiert und in der New York Times inseriert. Der Weg zum großen Geschäft war frei. Inzwischen ist das schwule Pornogeschäft ein Milliardenbusiness, das aber durch frei im Internet verfügbare, oft privat produzierte Filme immer mehr in Bedrängnis gerät. Clarkes Streifzug ist mit zahlreichen Bildern illustriert, Interviews mit Protagonisten der Branche lockern die Zeitreise auf.
Kevin Clarke: Porn – from Andy Warhol to X-Tube: Berlin: Gmünder 2011, € 40,99 (in der Buchhandlung Löwenherz)