Rebecca Chalker hat eine lesenswertes Buch über die Klitoris geschrieben.
Der erste Blick auf´s Buch und ich dachte „och schon wieder ein Buch über die Klitoris!“ Was hab ich mir nur gedacht! Erstens: es gibt noch lange nicht genug und schon gar nicht gute Bücher zu dem Thema, zweitens: es ist keine Abwandlung der Dokumentation „Klitoris, die schöne Unbekannte“ und anderer bereits bestehender Literatur.
Das Vorwort von Mithu M. Sanyal hat mich in den Bann gezogen und sprach mir aus der Seele. Mithu M. Sanyals Buch „Vulva – die Enthüllung des unsichtbaren Geschlechts“ von 2009 steht seit seiner Erscheinung in meinem Bücherregal und zählt zu meinen Lieblingsbüchern. Dass Mithu M. Sanyal daher das Vorwort schrieb, war schon mal das erste Qualitätsmerkmal für mich, da mir die Autorin Rebecca Chalker bisher unbekannt war. In ihrem Vorwort schreibt Sanyal von ihren Kindheitserinnerungen an das Buch ihrer Mutter „Unser Körper – Unser Leben, Band I“ und das damit geweckte Interesse am Körper und an der Sexualität. Genauso war es bei mir. Dieses Buch, das von Frauen für Frauen geschrieben wurde, war in meiner Kindheit am Land – fernab von den Feministinnen und Lesben, mit denen ich meine frühen Jahre verbracht habe – die Brücke zur Frauenbewegung, die irgendwo draußen in der Welt, aber nicht in meinem Umfeld stattfand. Meine Mama sprach mit strahlenden Augen von der Rosa Lila Villa und dem FZ und es erschien mir wie Geschichten von starken Frauen aus einer anderen Welt, die ich irgendwann suchen und finden würde. Aber zurück zum eigentlichen Buch.
Dieses Buch ist queer-feministisch, vielseitig recherchiert und so spannend wie ein packender Roman geschrieben und enthält persönliche Berichte (Anm.: erinnert mich ein bisschen an Nancy Fridays Bücher Erfahrungsberichte und Briefe zwischen ihre Analysen und die Publikation der Fantasien zu schieben). Die Autorin verwendet den von mir hochgelobten Gender-Gap, den Unterstrich, der alle Identitäten inner- und außerhalb der Genderbinarität symbolisieren soll: ein weiteres Qualitätsmerkmal für mich. Denn so sehr mich der 2.Welle-Feminismus geprägt und gestärkt hat, so sehr lehne ich die Transphobie in Frauenräumen wie dem FZ ab. Das Schöne an diesem Buch ist, dass sich hier verschiedene Strömungen vereinen: Feminismus und Queerness führen Hand in Hand durch die Kulturgeschichte tabuisierter Frauen_körper und -sexualität.
„Die Klitoris hat ebenfalls eine Eichel (Glans clitoridis)- die überaus sensible Perle, die fraglos das Kronjuwel des klitoralen Systems darstellt. Allerdings bietet die weibliche Eichel einen überraschenden und beglückenden Unterschied: Sie hat zwischen 6000 und 8000 Nervenendungen, mehr als jeder andere Teil des – männlichen oder weiblichen – menschlichen Körpers und einer Schätzung zufolge etwa viermal so viele wie die Eichel des Penis. Dieser hypersensible Knotenpunkt hat nur einen Zweck: Lust. […] Eine der wichtigen Korrekturen, die die feministischen Frauengesundheitszentren an der traditionellen Definition der Klitoris vornahmen, war die Änderung der Bezeichnung der großen Schamlippen (Labia majora) und der kleinen Schamlippen (Labia minora) in äußere und innere Lippen […]“ S.50. Mehr noch, meine Atemlehrerin Mag.a Waltraud Degen machte mich in ihren Frauen-Heil-Seminaren mit dem Begriff Charme-Lippen statt Schamlippen vertraut (sie selbst kennt es von Renu Li, einer Schülerin von Mantak Chia) und rehabilitiert sie mit diesem liebevollen Wortspiel.
Das Kapitel „Jenseits des Geschlechtsverkehrs“ versucht damit eine neue Zeit einzuläuten: eine Zeit, in der Sex nicht mehr vaginale Penetration bedeutet. Gut, diese Zeit ist eigentlich schon vor längerer Zeit angebrochen, aber es kommt mir mehr wie die Lehre einer Geheimgesellschaft vor. Betty Dodson, die berühmte 83jährige Sexpertin und Künstlerin, und gleichsam die Königin des klitoralen Lobpreises (und auch eine meiner Heroinen), predigt seit Jahrzehnten mit dem Slogan „Better Orgasms. Better World“ für ein Umdenken der Körper- und Sexualitätsnormen.
Es wird Zeit, dass alle Menschen in allen geschlechtsidentifikatorischen und sexuellen Nuancen dieses Buch lesen. auch die, die keine Klitoris haben! Denn die Tabuisierung des weiblichen* Körpers ist ein Teil patriarchaler Kulturgeschichte und ihrer Privilegien, die es aufzurütteln gilt.
Chalker, Rebecca. Klitoris. Die unbekannte Schöne. Berlin: Orlanda Frauenverlag 2012 (erhältlich bei Löwenherz)