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Gelungener Seiltanz

Die Autorin Lilly_Axter hat im engagierten Wiener Zaglossus Verlag ihren Roman Dorn veröffentlicht. Ines Rieder hat ihn für QWIEN gelesen. Sprache – Sprachen, Geschichte – Geschichten, Vergangenheit – Gegenwart: ein Seiltanz zwischen dem nationalsozialistischen Erbe der Autorin sowie der multikulturellen Welt, in der die Protagonistin Pippa von Lilly Axters Roman Dornlebt. Scheinbar getrennt durch Ort, Zeit und Sprache – aber in Dorn werden sie zusammengeführt, in Dorn müssen sie miteinander leben. Pippa ist wie die Autorin Lilly Axter in Deutschland aufgewachsen und lebt nun schon seit vielen Jahren in Viyana-Wien – in Deutschland hat sie ihre Geburtsfamilie inklusive ihrer nationalsozialistischen Vergangenheit zurückgelassen – und hier schafft sie sich ihr Leben/ihre Gegenwart, nicht nur in und mit ihrer WG, sondern auch mit dem Erlernen der türkischen Sprache. Zuerst bestimmte nationalsozialistischer Überlebensgrößenwahn, später dann internationale Frauenarbeit das Leben der Großmutter, an deren Totenbett die Enkelin sitzt. Die Enkelin lebt und denkt queer, feministisch und integrativ und versucht noch im Krankenhaus und dann nach dem Tod der Großmutter zu verstehen, was es mit dieser Frau, die ihr so nahe stand, auf sich hatte und welche Rolle sie in ihrem Leben spielte. Großeltern, die über die Vergangenheit schwiegen oder sie schön redeten, diese Großeltern kann man überall finden. Die EnkelInnen, die von ihnen, wenn schon nicht großgezogen, dann zumindest sehr beeinflusst wurden, ebenso. Dass sich die EnkelInnengeneration mit der Vergangenheit der Großelterngeneration auseinandersetzt, kommt öfter vor, dass es in Dorn auf so radikale Weise geschieht und eingebettet in einen queeren Diskurs, der obendrein das Wortspiel mit den eben gelernten türkischen Wörtern schafft, ist wohl selten. Über viele Jahre ist die Großmutter Philippa der gleichnamigen Protagonistin Pippa ein Vorbild. Ein Vorbild, welches Pippa in den letzten Lebenstagen der Großmutter beginnt zu hinterfragen. Stück um Stück wird Großmutter Philippa auseinandergenommen und sprachlich und inhaltlich dann wiederum zusammengesetzt. Und noch viel wichtiger: die Enkelin entwirft Gegensätze, wie z.B. das Leben in einer WG, die Welt der BloggerInnen, ihre lesbischen Beziehungen. Was mich persönlich an Lilly Axters Dorn am meisten fasziniert hat, ist ihr scharfer, nuancierter Umgang mit Sprache. Wie sie ein türkisches Wort nimmt, es sich auf der Zunge zergehen lässt und es dann hinüberzieht ins Deutsche, um es dort zu drehen und zu wenden, bis es klar etwas Neues und Verständliches ist. Schon alleine deswegen lohnt es sich jeden Absatz zu lesen, dabei zu verweilen und dann noch lange darüber nachzudenken. Eine gelungene Synthese von Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus, Leben in einer multikulturellen Gesellschaft – und all das in einem lesbischen Kontext. Lilly_Axter: Dorn. Wien: Zaglossus 2012 (erhältlich bei Löwenherz)

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