In Wien sind aktuell drei Ausstellungen zu sehen, die sich auf ganz unterschiedliche Weise mit dem (männlichen) Körper auseinandersetzen. Ideal für einen Rundgang durch die Museen. Zuerst geht es zur Großausstellung Nackte Männer ins Leopold Museum, danach in Körperschau 2 zu Leigh Bowerys XTRAVAGANZA in die Kunsthalle Wien und dann zu einem stillen Kommentar zu beiden Schauen in die Albertina zu Körper als Protest in Körperschau 3
Die größte und gewichtigste Schau ist dabei Nackte Männer im Leopold Museum, die durch einen smarten Marketinggag schon vor Eröffnung Stadtgespräch war. Die erotisch aufgeladenen Model-Fussballer von Pierre & Gilles erregten das erwünschte Aufsehen und werden nun mit einem roten Balken versehen. Das Leopold Museum ist ja doch eine gesittete international renommierte Institution, weshalb sie auch bei den Nackten Männern mit einer Vielzahl (inter)nationaler und privater Leihgeber aufwarten kann. Wenn schon Nackte Männer, dann klotzen und nicht kleckern. Im Grunde hat der Museologische Leiter des Hauses und Kurator der Ausstellung Tobias G. Natter recht, wenn er auf den Aufruhr hinterfragt, denn eine seit Monate plakatierte nackte Frau von Gustav Klimt auf einem Plakat des KHM erregte kein Aufsehen. Warum erregt gerade nackte Männlichkeit? Die Überklebung der anstößigen Plakate mit auffälligen roten Balken soll diese Frage nun auch im Stadtraum sichtbar machen. Selbst wenn böse Zungen zischeln, dass die roten Balken schon mit den Plakaten gedruckt wurden, ist doch eine mediale Öffentlichkeit aufgesprungen, die Erregung hat funktioniert. Bleibt aber die Frage offen, warum sich gerade diese nackten Männer dafür besonders gut eigneten. Ilse Haiders Mr. Big, der etwas gelangweilt schauende Nackedei vor dem Haus ist ja im Nu zu einem Turnobjekt für Kinder geworden, großer Pimmel inklusive. Keine Erregung. Die drei Models von Pierre & Gilles, die durch ihre unterschiedliche Hautfarbe auch auf den Rassismus im Fussball anspielen, aber doch. Liegt es daran, dass diese Männer erotische Objekte sind? Daran dass sie auch homosexuelles Begehren transportieren?
Neue Männerbilder Nach einem Rundgang durch die Ausstellung sollte man der Antwort näher sein. Das Kuratorenteam Tobias G. Natter und Elisabeth Leopold legten vom ausgehenden 18. Jahrhundert eine Zeitachse bis zur Gegenwartskunst. Mit der Aufklärung und dem Ende des Feudalismus kommt es zu „einer ästhetisch-gesellschaftlichen Neuverhandlung von Männlichkeitskonzepten“, die auch das Bild des nackten Mannes entscheidend prägen. Der erotischer nackte Mann bleibt unsichtbar und ausschließlich in die Pornografie verbannt, maßgeblich ist der heroische, kräftige, staatstragende Mann. Der kann auch gerne nackt sein, wie man etwa gut am und im Parlament sieht. Kaum ein Gebäude ist mit soviel kraftstrotzender nackter Männlichkeit verziert. Aber kein Funken Sex. Die Ausstellung eröffnet mit einem Prolog, der nackte Männlichkeit vom Alten Ägypten bis heute in fünf prototypischen Statuen Revue passieren lässt. Alle vom „ältesten nackten Wiener“, der Statue eines ägyptischen Hofbeamten, zum Jüngling vom Magdalensberg, die Statuen von Auguste Rodin und Fritz Wotruba sind nackt, nur Heimo Zoberniks idealisiertes Selbstbildnis als Kleiderpuppe trägt ein T-Shirt mit der Aufschrift SALE und ist seltsam geschlechtslos. Vor allem die Bronze des nackten Jünglings aus der Renaissance, die aber ein Abguss eines römischen Vorbilds ist, führt uns zum gedanklichen Ausgangspunkt der Ausstellung. Wie die Kunsthistorikerin Daniela Hammer-Tugendhat in einem Aufsatz über die Bedeutung männlicher Nacktheit seit der Renaissance darlegt, ist die nackte Frau als passives, sich dem Mann hingebendes Sexualobjekt in den privaten Raum verbannt. Der nackte Mann hingegen tritt als entsexualisiertes Subjekt auf, verkörpert das „allgemein Menschliche“ und kann deshalb auch problemlos in der Öffentlichkeit gezeigt werden. Der Jüngling vom Magdalensberg verkörpert dieses auch für den Klassizismus prägende Ideal nackter Männlichkeit fast prototypisch. „Edle Einfalt und stille Größe“ das Schlagwort für die ideale männliche Schönheit. Obwohl es nicht belegbar ist, ob der homosexuelle Johann Joachim Winckelmann mit diesem Diktum, seinem „heimlichen Begehren“, das er beim Betrachten schöner antiker Männlichkeit hatte, das Mäntelchen gutbürgerlicher Sittlichkeit umhängen wollte, geklappt hat es – der begehrliche Mann, der homoerotische Blick auf diesen wird ein heimlicher bleiben.
Theseus besiegt den Minotaurus von Antonio Canova, dem hochgefeierten Stars klassizistischer Bildhauerkunst, ist fast aseptisch glatt, kein Funken Lebendigkeit oder menschlicher Natürlichkeit entströmt dieser Interpretation des antiken Schönheitsideals. Dieser glatten, drögen Männlichkeit kann man aber mit Ironie begegnen, wie das schwule dänisch-norwegische Künstlerduo Elmgreen & Dragset, die diesen Statuen Unterwäsche anziehen, um ihnen einen Hauch von Erotik zu verleihen. Aber im Rückgriff auf die Antike kann auch Dionysos siegen, wenn Wilhelm von Gloeden und Wilhelm Plüschow mit gutgebauten jungen Italienern in homoerotischen Bilderwelten schwelgen. Gefragte Helden? Helden sind gefragt, Pathos trieft aus den Bildern, das das Kurator_innen-Duo mit den Fussballern von Pierre & Gilles ironisiert, dabei war das Heldentum schon zur Entstehungszeit der meist auf antike Mythen zurückgreifenden Historiengemälde brüchig, wie die als dunkler, bedrohlicher Kommentar wirkenden SM-Phantasien von Johann Heinrich Füssli zeigen. Er weist mit seinen die dunklen Seiten der Seele auslotenden Werken schon in die Moderne, die mit den großen Drei der Ausstellung im nächsten Raum als zweiter Abschnitt des chronologischen Abrisses beginnt: Egon Schiele, Richard Gerstl und Anton Kolig. Das Individuum und seine seelischen Nöte rücken in den Mittelpunkt der Darstellung von Nacktheit. Schiele blickt nicht auf den nackten Mann, er blickt auf das nackte Ich. Das ist neu. Nie zuvor wurde die männliche Sexualität so radikal thematisiert. Hier trifft er sich mit Richard Gerstl, dessen schmales Werk stark autobiografischen Charakter hat. Warum Anton Kolig in diesen Zusammenhang gestellt wurde, ist aber fraglich, denn bei Kolig geht es nicht um die Befragung des eigenen Ichs, sondern um die eines begehrten Gegenübers. Koligs Blick modelliert den begehrten Körper auf Papier, jeder Strich ist hoch erotisiert, ein Verlangen versprechend. Sein Ich zeigt sich, wenn überhaupt, indirekt, im Blick, der sein homoerotisches Begehren offen legt.
Mit einem Rückgriff in die frühe Neuzeit begeben wir uns ins Männerbad. Albrecht Dürers berühmter Stich, der durchaus laszive Züge trägt (die am Wasserhahn lehnende Männerfigur rechts, die sehnsüchtig schmachtend ihr Hinterteil dem Flötenspieler entgegenreckt!), steht am Anfang. Wichtige Werke dieses Raums entspringen lebensreformatorischen Strömungen der Zeit, erstaunlich ist mit welcher Dichte plötzlich der nackte Knabe als Sujet entdeckt wird, zumal laut Katalog „der Nacktheit vorpubertärer Kinder in der Öffentlichkeit […] weit weniger Bedeutung geschenkt wurde“. Die Erotisierung des erwachenden Körpers wurde damals offenbar nicht als bedrohlich empfunden. Im Gegensatz zu heute. Ein interessantes Beispiel für frühes homosexuelles Selbstbewusstsein ist der schwedische Maler Eugène Jansson, der den männlichen Körper kultiviert und bei regelmäßigen Besuchen in den Badeanstalten der königlichen Marineverwaltung seine sportlich trainierten Modelle fand. Schwule Männerträume Mit Schiele ist das männliche Ich Thema der Kunst geworden, die Frauenbewegung, die Industrialisierung und die Entfremdung des Individuums führen zu einer grundsätzlichen Verunsicherung. Die Kapitel „Trauer“ und„Geschlechterkampf und Verweigerung“ führen zu neuen Männerbildern. Die Gegensätze könnten nicht größer sein. Auf der einen Seite ein in seiner Reduktion beeindruckendes Bild von Albin Egger-Lienz, die Pietà von 1926, die auf Mantegnas Beweinung ChristiBezug nimmt und den Leichnam von Christus in stark verkürzter Perspektive zeigt. (Es hätte zu diesem Bild sogar einen schwulen Bezug gegeben. Pier Paolo Pasolini verwendet dieser Perspektive in der Schlusseinstellung seines ersten Films Accatone.) In unmittelbarer Nähe ein Bild von Francis Bacon, Man at a Waterbasin, und daneben eine schwule Sebastian-Fantasie des französischen Malers Alfred Courmes, der den Heiligen als Matrosen verkleidet, mit fleischigem Schwanz fast verzückt an einem Stamm lehnen lässt, die Pfeile ignorierend, genießend?
An der Wand gegenüber die homoerotischen Fantasien des deutschen Malers Sascha Schneider, der offen zugab: „Mich interessiert ausschließlich der männliche Körper, d.h. die Kraft […]. Die Kraft ist für mich Schönheit, und ich denke da so radikal, dass ich eine höchste entwickelte Muskulatur für absolut schön halte.“ etc etc. Er stand offenbar auf Muskelkerle und das sieht man auch in seinem Gemälde Die Glut. Obwohl noch eine weibliche Figur das Bild beherrscht, das lebendige Zentrum sind die in sich verkeilten Leiber der Männer, die den Schild tragen.Frauen sehen Männer Die Kunst nach 1945 wurden von Tobias G. Natter und Elisabeth Leopold in drei Themenblöcke unterteilt, deren erster den weiblichen Blick auf nackte Männer bebildert – mit Maria Lassnig, Louise Bourgeois oder Nan Goldin. Das interessanteste Objekt dieses Teils, eine raumfüllende Installation von Katarzyna Kozyra, steht aus Platzgründen im Erdgeschoß. Kozyra hat sich mit einem täuschend echten Penis, künstlichem Bart, Brustbehaarung, zwei Freunden und einer versteckten Kamera ins Budapester Gellert Bad begeben. Die Kamera dokumentiert das ungezwungene Verhalten der badenden Männer, manche lauernd, aber nicht offen schwul. Und dazwischen Katarzyna Kozyra mit ihrem künstlichen Schwanz. Witzig! Elke Krystufek meinte in einem Interview, dass sich Bilder nackter Männer schlecht verkaufen. Die weibliche Kundschaft hat oft nicht das nötige Kleingeld, oder will es nicht für nackte Männer ausgeben. Und sieht man sich in diesem Raum um, wundert es nicht, dass auch eine schwule kunstaffine Klientel wenig anspringt. Unsinnlichere Männerbilder als in diesem Raum habe ich kaum gesehen. „Das Ich zwischen Norm und Aufbegehren“ lässt unvermittelt die unterschiedlichsten Körperbilder aufeinanderprallen. Arbeiten von Günter Brus und den Wiener Aktionismus als Ausgangspunkt nehmend schlagen die Kurator_innen über Otto Mühl, eines der Ständerfotos von Gelatin den Bogen zu Heimo Zobernig und spannen damit auch eine chronologische Achse durch mehr als vier Jahrzehnte österreichischer Kunstgeschichte unter dem Blickwinkel des nackten Mannes. Mister Foxy, eine Fotoserie, in der Tomislav Gotovacals alter, weißbärtiger Mann Pornoposen weiblicher Pin-up nachahmt, kann auch schwul gelesen werden. Etwas verloren wirkt da unkommentiert das Selbstbildnis von Jürgen Baldiga. In der Nähe hängt zwar der Ignorance = Fear-Plakat von Keith Haring, das die Aids-Krise thematisiert, ohne Wissen bringt man aber Baldiga nicht in diesen Zusammenhang, zeigt er doch die Verletzlichkeit des männlichen Körpers, die gerade Aids so offensichtlich gemacht hat. Mit Arbeiten von Pierre Molinier, Marianne Greber undMatthias Herrmannwird an aktuelle queere Diskurse angeschlossen und die Eindeutigkeit des männlichen Geschlechts in Frage gestellt.
Männer sehen Männer Wenn Männer auf Männer blicken sieht man manch Erwartbares, wenn auch auf künstlerisch hohem Niveau. Neben den verführerischen Grafiken von Jean Cocteau oder David Hockney ist auch Andy WarholsQuerelle Version ein Klassiker. Mit Fotos von Robert Mapplethorpe begegnen wir erstmals einem offensiv schwulen Blick auf den Mann, auf das Sexobjekt Mann. Sein Blick ist fixiert auf den Schwanz seiner Fotomodelle. So offensiv blickte noch kein Mann auf das Lustobjekt Mann, auch in seinen Selbstporträts und seinen SM-Inszenierungen und überschritt damit lustvoll die Grenzen zwischen Pornografie und Kunst. Bruce of Los Angeles, der wie auch Mapplethorpe auf einen Kanon der klassischen Bildsprache zurückgriff, erotisiert antikisierende Helden in Latzhöschen bis an die Grenzen des von der Zensur Geduldeten. Die wandfüllende Plakatwand von Félix Gonzáles-Torres zeigt keinen nackten Mann, ein leeres Bett ist für den an Aids verstorbenen Künstler Ausdruck seiner Verzweiflung über den Tod seines Partners. Mit Spit Law einer großformatigen Fotoarbeit von Gilbert & Georgedringt auch wieder die Gesellschaft in die Kunst ein. Auf einem blutroten Grund schwimmen Mikroaufnahmen von Spuke, auf den beiden Tafeln zeigen einmal Gilbert und einmal George den blanken Hintern. Zwischen den Tafeln als Lauftext, Zitate aus Leviticus, die Homosexualität verdammen. Klar, was Gilbert & George davon halten. Die für mich eindruckvollste Arbeit ist eine kleinformatige Fotostrecke des ukrainischen Künstlers Boris Mikailov, in der er von den zärtlichen Annäherungen zweier Männer in einem Armenasyl beim Men’s Talk erzählt. Tänzerische Posen wechseln mit alltäglichen Szenen ab und ergeben einen vieldeutigen Bilderbogen. Damit endet der Rundgang im Leopold Museum und man fragt sich nach hunderten nackten Männern, warum dieses Thema in der Kunstgeschichte so lange tabuisiert war. Der erotisierte männliche Körper stellt aber offenbar noch für viele eine Bedrohung dar. In der Kunsthalle Wien geht es mit Körperschau 2 weiter bei XTRAVAGANZA staging Leigh Bowery, der ebenfalls den männlichen Körper thematisiert. Infos zur Ausstellung Nackte Männer Ein ausführliche Rezension der Ausstellung Körper als Protest in der ALBERTINA siehe Körperschau 3