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Stonewall in Wien – die 1990er: Ulrike Lunacek

Wie kamen die Forderungen der Lesben-. Schwulen- und Transgender-Bewegung in die Politik?
Es war sehr wohl so, dass schon vor meinem Einzug ins Hohe Haus, zahlreiche Organisationen diese Themen den Parteien immer wieder präsentiert haben. Bei den Grünen war es Terezija Stoisits, die jetzt Volksanwältin ist und damals Justizsprecherin war, die sehr aktiv diese Themen immer wieder in den Nationalrat und in den Justizausschuss eingebracht hat, auch Anträge gestellt hat, Gesetzesanträge zu Partnerschaft, damals noch vor allem zur Abschaffung des Paragraphen 209, auch 220 und 221. Wenn ich dran denke, ist das zwar schon lange her, aber es sind erst 12 Jahre, dass die Paragraphen 220 und 221 – Werbe- und Organisationsverbot – abgeschafft wurden. In den 90-er Jahren haben sich die Forderungen konkretisiert, wo auch die Regenbogenparaden bei uns erst begonnen haben stattzufinden. Da wurden die Forderungen nach Gesetzesänderungen stärker im Hohen Haus thematisiert – sicher auch stark von mir, als Aushängeschild, als personifizierte Lesben- und Schwulenforderung.
Wie lief deine Kandidatur als deklarierte Lesbe öffentlich ab?
Als ich 1995 offen als Lesbe kandidierte, ging es mir auch um diese Forderungen – es ging ja nicht um mein Privatleben – und um Lesben sichtbar zu machen. Ich war schon sehr erstaunt, dass das dann Hauptthema war, was in den Zeitungen präsentiert wurde, denn ich komme ja aus der internationalen Solidaritätsbewegung mit den Entwicklungsländern, und das war eigentlich mein Hauptpunkt. In den Zeitungen stand dann ganz groß “Vertreterin des Lesben- und Schwulenforums”, “Lesbe”, “sichtbar” usw. Das hat mich gefreut, weil ich schon glaube, dass es für viele Leute etwas bewirkt hat. Ich habe auch viele Zuschriften bekommen. Dann war es so, dass ich viele Interviews hatte und als “die Lesbe in der österreichischen Politik” bekannt wurde, was mich nicht weiter gestört hat. Es ging mir ja auch darum, die Sichtbarkeit zu erhöhen. Als ich mein Coming-out hatte, gab es keine, die ich kannte.
Hatte deine Kandidatur Folgen?
Zum einen freut es mich schon, dass es bei den Grünen mittlerweile so selbstverständlich möglich ist, dass eine deklarierte Lesbe Spitzenkandidatin für die Europawahl wird. Ich bin auch stellvertretende Klubobfrau im Parlament. Auch hohe Parteipositionen können bei den Grünen selbstverständlich Lesben und Schwule haben. Das ist in keiner anderen österreichischen Partei der Fall. Da müssen sie sich noch verstecken. Das ist bei den Grünen wirklich eine positive Ausnahmeerscheinung und das ist auch bei den Europäischen Grünen so. Ich bin ja auch Vorsitzende
der Europäischen Grünen und dort sind sie auch stolz darauf, dass es mich gibt und das ist schon etwas, das mich freut.
Ließ sich die Rolle der außenpolitischen Sprecherin und der Gleichstellungssprecherin auch kombinieren?
Es macht Sinn die diplomatischen Kontakte, die ich aus meiner Funktion heraus habe, auch zu nützen, um mich für die Menschenrechte von  Lesben, Schwulen und Transgender-Personen weltweit einzusetzen. Das werde ich auch weiterhin vom Europaparlament aus tun, und mit mir die gesamte Grüne Fraktion.
Stellen wir uns vor, Lesben, Schwule und Transgenders wären im Rechtsbereich vollkommen gleichgestellt. Was gäbe es dann noch zu tun?
Zuerst tatsächlich einmal die Gleichstellung der Partnerschaften, inklusive der Ehe. Das würde ich mir wünschen: Beides, also ein modernes Partnerschaftsmodell und die Öffnung der Ehe. Und dann bleibt sehr wohl noch viel zu tun. Was wird in den Schulen unterrichtet? Wie bekommen junge Leute Aufklärung – positive Aufklärung darüber? Wo einfach gesagt wird: Lesbisches und schwules Leben ist so normal, wie das heterosexuelle. Es gibt 10% der Bevölkerung, die so leben, das war immer schon so und wird immer so sein. Fürchtet euch nicht davor! Das ist eine ganz große Herausforderung in der Lehrer_innenausbildung und in den Schulbüchern. Ein anderer Bereich ist öffentliche Aufklärung. Wir wissen, wie viele Menschen Vorurteile haben. Ich hoffe sehr, dass mit besseren Gesetzen die Menschen, die jetzt homophob sind, mitkriegen, dass wenn der Staat das erlaubt, dann ist es ja vielleicht doch nicht so schlimm, und werden auch ihre Homophobie etwas einschränken. Es wird auch dazu führen, dass Lesben und Schwule selbst, die jetzt noch Angst davor haben in ihrer Familie, im Beruf, in der Öffentlichkeit dazu zu stehen, sich auch mehr trauen, und dadurch lesbisches und schwules Leben viel Selbstverständlicher machen als es heute zum Glück eh schon ist. Vor 10, vor 20 Jahren war noch viel weniger da. Aber diesen Prozess sehe ich schon noch, und da wird noch einiges nötig sein, um das weiterzubringen.

Alle Interviews von „Stonewall in Wien“: http://www.qwien.at/stonewall-in-wien/

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