Mit deinem BallCanCan, aber auch anderen Initiativen wie Homoriental, ViennaMix und MiGay wurden zum ersten Mal lesbische, schwule und transgender Migrant_innen sichtbar. Davor war
die Bewegung von der österreichischen Mehrheitsgesellschaft geprägt und wurde auch für diese kommuniziert. Gibt es bei Migrant_innen – immerhin etwa ein Drittel der Wienerinnen und Wiener – andere Schwerpunkte?
Vergleichbar ist es nicht, weil sehr viele Serben oder Bosnier sind nach dem Krieg hergekommen und haben das verheimlicht, hatten kein Coming-out. Mittlerweile haben wir, also BallCanCan und Homoriental etwa, dazu beigetragen, dass sich die Leute mehr trauen, dass sie auch ausgehen und sich outen. Am Anfang sind viele Leute gekommen, die sich nicht fotografieren lassen wollten oder Sonenbrillen aufhatten. Auch die jüngere Generation hat da leider Gottes immer noch ein Handicap. Serbische Männer sind Patriarchen und wollen, dass der Sohn verheiratet ist und für Nachwuchs sorgt, Stammhalter wird. Das macht es enorm schwierig, sich dazu zu bekennen. Auch wenn jemand zu BallCanCan kommt, muss das nicht heißen, dass er dazu steht. Aber durch BallCanCan und Homoriental haben sich jetzt mittlerweile doch mehr getraut. Auch durch mich ein bisschen. Dass die Suppe nicht so heiß gekocht wird, wie gegessen. Dass die Gesellschaft nicht immer so aggressiv und intolerant ist. Man muss aber auch manchmal etwas einstecken, ein bisschen ein dickes Fell haben, eine Elefantenhaut. Aber das ist es wert.
Verschwinden Migrant_innen aus deinem Blickfeld wieder, weil sie sich dem Druck, zu heiraten und eine Familie zu gründen, unterwerfen?
Ja, sie müssen einfach. Bei Ex-Jugoslawen nicht so sehr, aber bei türkischen Männern ist der Druck von der Familie schon sehr groß, riesig. Sie müssen ihre Sexualität unterdrücken, heiraten, sich zwingen und stürzen die Frau ins Unglück. das endet dann meistens doch mit einer Scheidung, wo er wegrennt oder sie unglücklich ist, weil sie keinen Sex hat. Ich kenne einen Bekannten aus Albanien, der hat das versucht durchzuziehen und es war immer Krieg. Er hat eine 12-jährige Tochter, die war unglücklich, er war unglücklich und die Frau war unglücklich. Letztendlich hat es damit geendet, dass er sich scheiden hat lassen. Aber er hat jetzt Angst vor der Familie, vor Mutter, vor Vater, vor Bruder. Er wird bedroht, er wird terrorisiert, hat die Wohnung gewechselt und denkt sogar
daran von Österreich wegzuziehen. Und das im Jahre 2009.
Wenn man mit Lesben und Schwulen am Balkan selbst spricht, kennt jede und jeder Sabrina Andersrum und BallCanCan. Wie wichtig ist die Stadt Wien für die Region Südosteuropa als Drehscheibe?
Ja, auf jeden Fall. Es ist das erste westliche Land, das Fenster zum Westen. In der kommunistischen Zeit warst du in 2 oder 4 Stunden da. Am Anfang hat man es übers Fernsehen, über Satellit verfolgt. Mittlerweile kommen sie her. Wien als Drehscheibe ist sehr wichtig.
Alle Interviews von „Stonewall in Wien“: http://www.qwien.at/stonewall-in-wien/