QWIEN präsentiert in Zusammenarbeit mit der Wienbibliothek am 7. Mai in den Loos-Räumen der Wienbibliothek eine literarische Wiederentdeckung – zwei Bände mit Werken des Wiener Dichters Alfred Grünewald.
Als er 1942 von den Nationalsozialisten ermordet wurde, war der Name Alfred Grünewald in der Literaturwelt nur noch Wenigen geläufig. Er war schon zu Lebzeiten ein Unzeitgemäßer gewesen, der sich in einer Nachfolge Platens in klassischen Gedichtformen erprobte, während rund um ihn die beginnende Moderne die Formen sprengte. Zwei Publikationen in der renommierten Bibliothek rosa Winkel wagen die Wiederentdeckung des vielfältigen Dichters Grünewald.
Sonette an einen Knaben“ war einer seiner wenigen literarischen Erfolge. 1920 erschienen, sprechen die Gedichte eine für die Zeit erstaunlich deutliche Sprache. Sie erzählen von Grünewalds Sehnen nach der idealen, knabenhaften Schönheit. Und doch waren die erotischen Sonette so zart und poetisch, dass sie von der Kritik nicht ausschließlich als homoerotische Lyrik rezipiert sondern vielmehr als „Offenbarungen reiner Gefühle“ gelobt wurden. Grünewald, von der Familie und Freunden Fredo genannt, wurde 1884 in eine jüdische Familie im 2. Bezirk geboren. Sein Vater war beruflich erfolgreich und sorgte für bescheidenen Wohlstand, die Familie übersiedelte an den Hamerlingplatz im 8. Bezirk, wo Grünewald bis zu seiner Vertreibung aus Wien lebte.
Nach einer ersten Veröffentlichung in der Fackel von Karl Kraus schlug Grünewald eine literarische Laufbahn ein, studierte aber noch bei Adolf Loos Architektur, um später kurze Zeit in dessen Architekturbüro zu arbeiten. Es sollte der einzige Versuch bleiben, eine bürgerliche Existenz zu führen. Doch war Grünewald kein Bohémien, vielmehr bescheiden und ein fleißiger Arbeiter, wie viele Publikationen in Wiener Zeitungen belegen. Gedichte, Erzählungen, Aphorismen, Essays, Theaterstücke, Balladen und Schwänke – in einer Fülle von Gattungen suchte Grünewald seinen Ausdruck.
Im Kreis um Adolf Loos gab Grünewald bei Dichterlesungen Kostproben seiner Kunst, mit Stefan Zweig, Franz Karl Ginzkey oder Felix Braun tauschte er sich über Literatur aus. Die Uraufführung eines seiner Stücke am Burgtheater hatte aber wegen Erfolglosigkeit keine Folgen. Grünewald blieb ein Geheimtipp, von Dichterfreunden geschätzt, wenig gelesen. Die Auflagen seiner Bücher blieben klein. Eine enge Freundschaft verband ihn mit Alma Johanna König, die wie Grünewald von den Nationalsozialisten ermordet wurde, und dem jungen Oskar Jan Tauschinski, der in der Nachkriegszeit mehrmals versuchte, den Dichter Alfred Grünewald in der österreichischen Literaturgeschichte als Lyriker zu verankern.
Prosa aus dem Nachlass
Der zweite Band aus der Bibliothek rosa Winkel Reseda zeigt einen neuen Alfred Grünewald, den Prosaschriftsteller, der bislang gänzlich unbekannt war. Der Herausgeber Volker Bühn entdeckte die bislang unveröffentlichte Kriminalnovelle Reseda in einem Schweizer Verlagsarchiv. Die Tagebuchaufzeichnungen des pedantischen und kleinkarierten Buchhalters Gustav Reseda, der sich darin selbst als „mittelmäßigen Menschen“ beschreibt, sind das Protokoll eines aus den Fugen geratenden Lebens. Der attraktive Neffe seiner langjährigen Freundin Maria raubt dem 50-Jährigen den Verstand. Deutlicher als in seiner Lyrik erzählt Grünewalds Prosa von seiner lebenslangen Faszination für heranwachsende junge Männer.
Viele der Erzählungen, die Volker Bühn aus unterschiedlichen Quellen zusammengetragen hat, haben einen autobiografischen Hintergrund. Wie etwa die melancholische Erzählung Der Page, in der sich ein pubertierender Junge in das Werbeplakat eines Pagen verliebt, das die Auslage eines Milchgeschäfts auf seinem Schulweg ziert. Als er seinen Kameraden von seinem Schwarm erzählt, stößt er auf Unverständnis und muss zum ersten Mal erfahren, dass sein Begehren ihn zum Außenseiter macht. Als das Plakat eines Tages verschwunden ist, spürt er erstmals den Verlust eines, wenn auch nur fantasierten, Geliebten.
Auf der Flucht
Ausschnitte aus neun Gedichtbänden und rund 50 bislang unveröffentlichte Gedichte aus dem Nachlass zeigen die thematische Breite von Grünewalds schriftstellerischem Werk und seinen spielerischen Umgang mit Sprache, was ihm mitunter den Vorwurf des Manierismus einbrachte. Obwohl Grünewald in unruhigen Zeiten lebte, vom Untergang der Donaumonarchie, über die politischen Umstürze der jungen Republik bis zum „Anschluss“ 1938, tauchen tagesaktuelle Fragen in seinem Werk praktisch nicht auf, was wohl mit ein Grund für die schleppende Rezeption war. In Zeiten des politischen Kampfes lag lange der Fokus auf den literarischen RepräsentantInnen einer politisch engagierten Literatur.
Den erstarkenden Antisemitismus erlebte Grünewald am eigenen Leib. Von den Nationalsozialisten als „Jude“ gebrandmarkt und auch als offen Homosexueller bedroht, wollte Grünewald nach dem „Anschluss“ Selbstmord begehen, wurde aber im Spital gerettet. Nach dem Novemberpogrom wurde er von der Gestapo nach Dachau verschleppt, nach dem Gelöbnis das Deutsche Reich schnellstmöglich zu verlassen aber freigelassen. Da er als mittelloser Dichter in keinem Staat Asyl erhielt, floh er über die grüne Grenze in die Schweiz und landete in Südfrankreich, wo er in bitterer Armut weiterarbeitete bis er von der Vichy-Regierung an die Nationalsozialisten ausgeliefert wurde. Am 9. September 1942 wurde Alfred Grünewald in Auschwitz ermordet.
Alfred Grünewald: Sonette an einen Knaben und andere Gedichte. Hrsg. v. Volker Bühn. Hamburg: Männerschwarm Verlag 2013 (Bibliothek rosa Winkel, Band 64) erhältlich bei Löwenherz
Alfred Grünewald: Reseda und andere Prosa. Hrsg. v. Volker Bühn. Hamburg: Männerschwarm Verlag 2013 (Bibliothek rosa Winkel, Band 65) erhältlich bei Löwenherz