Aus dem Nachlass des Burgtheaterdirektors und -schauspielers Raoul Aslan und seines Partners Tonio Riedl konnte QWIEN in einem Wiener Antiquariat sieben Bücher erwerben, die sehr private Einblicke in das Leben der seit den 1930er Jahren liierten Mimen gibt. Den Ankauf ermöglicht hat ein großzügiger Spender.
Seit den 1920er Jahren war der in Thessaloniki geborene Raoul Maria Aslan einer der großen Stars des Wiener Burgtheaters. Sein gutes Aussehen, seine markante Stimme und seine große Wandlungsfähigkeit machten ihn auch in der NS-Zeit zu einer Stütze des Hauses, ja, wohl zu seinem ersten Schauspieler. Weil er seine Homosexualität gegenüber den nationalsozialistischen Machthabern nicht verbarg, wurde er auch immer wieder der „österreichische Gustaf Gründgens“ genannt. Im Gegensatz zu Gründgens galt er aber in der Nachkriegszeit als nicht belastet. Er wurde sogar von den Alliierten zum ersten Burgtheaterdirektor der Nachkriegszeit ernannt. Als er 1958 starb, trauerte die Kulturnation, die gerade dabei war ihre Identität zu finden, um einen „großen Menschendarsteller“. Sein Lebenspartner, der Schauspieler Tonio Riedl, starb hingegen vergessen im Jahr 1995.
Bei seinem Tod hinterließ der streng gläubige Aslan eine große Sammlung an Barockengeln, die heute in alle Winde zerstreut ist. Zur Religion und zu Engeln hatte er eine besonders innige Beziehung, nannte er doch auch seinen jüngeren Geliebten Tonio gerne „mein geliebtes Engerl“. Daher ist auch das Gebetsbuch von Raoul Aslan, das ihm Tonio 1938 gewidmet hatte, und das deutliche Spuren regelmäßigen Gebrauchs zeigt, sicher eines der auratischsten Objekte dieses Ankaufs für das Archiv von QWIEN. Zahlreiche Beilagen wie Postkarten, Andachtsbilder oder Parten müssen erst ausgewertet werden. Eingelegt war jedenfalls auch ein rührender Liebesbrief Tonios an Aslan, in dem er inständig dessen baldige Genesung herbeisehnt. 1953 widmet Aslan sein Gebetbuch in zittriger Handschrift an Tonio zurück.
Auch Widmungsexempalre, die Aslan selbst erhalten hat, gibt er mit eigener Widmung versehen, an Tonio weiter. Eine „der grössten Erscheinungen“ sei für ihn gewiss Buddha, nur der „grosse Unterschied mit [sic] Christus, dem Herrn“, sei, dass Christus in „der ewigen Seligkeit, die ewige Heiterkeit u. Freude“ verspricht, während Buddha „die Erlösung im ewigen Nichts“ anstrebt. Und er warnt seinen Tonio vor diesem Nichts: „Nirvana! – Wähle!„ Als christliche Erbauungsliteratur kann man Alfons Gratrys Das Leben der Seele wohl bezeichnen. Wie wichtig Aslan dieser Text war, zeigt eine zweiseitige Widmung an Tonio, in der er bekennt: „Dieses Buch umfasst meine Gedankenwelt, meine Sehnsüchte.“ Aslan hat es für Tonio durchgehend redigiert und kommentiert, um seine zentralen Themen herauszuarbeiten. Die Erkenntnis des Buches habe er nicht erreicht, denn „zu sehr stak ich im Sumpf der Begierden, der Sinne, der Leidenschaften.“ Es war der Sommer 1952, in dem Aslan die Widmung schrieb und sich und Tonio schwor: „Dieser Sommer soll die Umkehr sein.“ Nicht mehr die Sinne sollten das Band ihrer Beziehung sein, sondern der gemeinsame Glaube und die Auseinandersetzung mit Religion. Und doch fürchtete er: „Der Dämon meiner Eifersucht sei mein ewiger Feind.“
Ein Buch, das wir nicht in der Bibliothek des bigotten Aslan erwartet hätten, ist Otto Weiningers Geschlecht und Charakter, das er ebenfalls mit Anstreichungen und persönlichen Anmerkungen versehen hat. Sie auszuwerten, wird einmal tiefere Einblicke in Aslans Verständnis der eigenen Homosexualität geben. Denn einerseits lebte er seine Beziehung mit Tonio Riedl mit einer für die Zeit erstaunlichen Offenheit, andererseits fühlte sich der gläubige Katholik immer auch als Sünder, der etwas Unrechtes tut, wenn er den Begierden nachgibt.
Weitere Stücke des Ankaufs sind zum einen noch die Firmungsbibel Aslans, die er von seinem Lehrer gewidmet bekam und eine Ausgabe des in den 1970er Jahren herausgegebenen Briefwechsels zwischen Aslan und Riedl aus den Kriegsjahren, als Aslan als erster Schauspieler des Burgtheaters in Wien unabkömmlich war, während Riedl einrücken musste – wo er aber auch am Fronttheater stationiert war. Dieser Band, von Tonio an ein Freundespaar Bertl und Rudi mit den Worten „Hier habt Ihr sein und mein wahres Gesicht!“ gewidmet, enthält auch zahlreiche Beilagen, Zeitungsausrisse, Postkarten und Briefe, die noch nicht genau ausgewertet wurden.
Außerdem konnten wir bei diesem Ankauf noch ein nummeriertes Exemplar von Sagitta Die Bücher der namenlosen Liebe aus dem Jahr 1924 erwerben. Aus welchem Besitz dieses sehr schön erhaltene Exemplar der seltenen Ausgabe stammt, kann nicht mehr nachvollzogen werden.
Möglich war uns dieser Ankauf nur durch eine großzügige Spende, die wir erhalten haben. Aus unserem laufenden Budget könnten wir diese nicht bestreiten. Wer die Arbeit von QWIEN, insbesondere den Ausbau der Sammlung und Bibliothek unterstützen möchte, kann dies mit einer Mitgliedschaft beim Verein QWIEN tun. Eine Jahresmitgliedschaft, die zu nichts verpflichtet, kostet Euro 29,00 (ermäßigt Euro 19,00).
Informationen hier oder per Email unter office@qwien.at