Erstmals seit mehr als zwanzig Jahren gibt es in Wien wieder eine große Ausstellung mit Werken Andy Warhols. Das mumok zeigt aber keine Retrospektive, sondern widmet sich dem Ausstellungsmacher Warhol und präsentiert dabei das praktische unbekannte queere Frühwerk des Pop-Art-Künstlers. Von Andreas Brunner
Alle kennen die bunten Variationen von Marilyn Monroe und anderen Superstars, die seriellen Campbell Suppendosen und Andy Warhol selbst als Ikone der Pop Art mit seinen weißblonden Perücken. Diese ikonischen und oft gesehenen Bilder wird man in der Ausstellung Andy Warhol Exhibits – a glittering alternative im mumok vergeblich suchen. Erstmals wird das weitgehend unbekannte meist grafische Frühwerk Warhols vor seinem Durchbruch mit den Campbell Suppendosen 1962 gezeigt und Warhol als Ausstellungsmacher und -kurator vorgestellt.
Erste Ausstellung
Dabei wird offensichtlich wie offensiv Warhol queere Themen bearbeitete, wie wichtig aber auch die Strategien der Verschleierung für den schüchternen Künstler waren. Warhols erste Ausstellung überhaupt widmete sich dem literarischen Werk von Truman Capote, der in seinem 1948 erschienen Roman Andere Stimmen, andere Räume offen homosexuelles Begehren beschrieb.
Warhol verehrte den jungen Superstar der New Yorker Literaturszene und schrieb ihm täglich Postkarten. Er stalkte ihn, würde man wohl heute sagen, nur hatte Capote kein Interesse an dem noch unbekannten Grafiker.
In den 1950er-Jahren begann Warhol auch eine Serie von Cock Drawings, eine etwas andere Art intimer Porträts. Er fragte Freunde und Bekannte, wohl auch Liebhaber, ob er ihren Schwanz zeichnen dürfte. Ironisch verkleidete er manches der dick pics, indem er ihnen eine Weste anzog oder einen Orden umhängte. Diese Zeichnungen blieben der Öffentlichkeit verborgen, zu groß war die Angst Warhols als offen schwuler Künstler aus der machistischen amerikanischen Kunstwelt der 1950er-Jahre ausgeschlossen zu werden. Heteromaker wie Jackson Pollock prägten das Kunstestablishment, auch schwule Zeitgenossen Warhols wie Jasper Johns oder Robert Rauschenberg hielten ihre sexuelle Orientierung in der Öffentlichkeit geheim.
Geheimes Begehren
Bei aller Geheimhaltung – und das zeigt die Ausstellung an einer Reihe von Beispielen – spielte Warhol in seinen grafischen Werken mit homoerotischen Motiven, geschlechtlicher Mehrdeutigkeit und mit Drag und Trans*themen. So veröffentlichte er Zeichnungen junger Männer, deren Strich an Jean Cocteau erinnerte und die er mit Blattgold veredelte in Büchern wie A Gold Book (1957), die er wiederum nur an Freunde verschenkte. In Ladies Alphabet (ca. 1953), einer Serie von Zeichnungen von Frauen, die an Werbungen in Modemagazinen erinnern, versteckte er Drag Queens, so ein Porträt des stadtbekannten Transvestiten Otto Fenn. Nach seinem Durchbruch 1962 unterband Warhol, dass dieses Frühwerk öffentlich gezeigt wurde. Erst Jahrzehnte nach seinem Tod wird es nun wiederentdeckt.
Nachhaltige Irritation löste 1966 Warhols erste Show in der Leo Castelli Gallery, der angesagtesten New York Kunstgalerie dieser Jahre, aus. Mit einer Kuh in Magenta auf Gelb als Fototapete und im Raum schwebenden silberglitzernden Pölstern, die er Silver Clouds nannte, löste sich Warhol endgültig vom Kunstwerk als Original und ließ für einige Jahre auch die Malerei und Zeichnung als Mittel des künstlerischen Ausdrucks hinter sich. Zumindest in der öffentlichen Wahrnehmung.
Warhols Filme
Warhol wandte sich dem Film zu, wobei sich seine Filme einer kommerziellen Verwertung aber auch einer herkömmlichen Rezeption weitgehend entzogen. So bestand Chelsea Girl (1966) aus zwölf etwa halbstündigen Episoden wie Nico in the Kitchen oder Boys in Bed, die in einem Doppelbild nebeneinander in willkürlicher Abfolge projiziert wurden. Die Filme Kiss, Eat, Sleep, Empire State Building und Blow Job wirken in ihrer Handlungslosigkeit wie belebte Porträtbilder der abgefilmten Gesichter aus Warhols Kreis in der Factory.
Die Serie der Screen Test, von denen eine Auswahl im mumok zu sehen ist, sprengt schon aufgrund ihrer Zahl von mehr als 400 etwa 4-minütigen Filmen (die Länge einer 8mm-Filmspule) jede Form der Betrachtung. Die Darsteller*innen, die für die Dauer der Aufnahme unbewegt in die Kamera zu sehen hatten, kam einerseits aus dem Kreis an Groupies und Mitarbeiter*innen aus der Factory, Warhol engagierte dafür aber auch Leute von der Straße, die er zufällig traf.
Ladies and Gentlemen
Trans*Personen aus der New Yorker Drag Szene porträtierte Warhol in der Serie Ladies and Gentlemen, ein großformatiges Bild aus dieser hängt als eines der wenigen klassischen Gemälde in der Ausstellung. Eine andere Werkgruppe hielt Warhol aber vor der Öffentlichkeit geheim. Sex Parts aus dem Jahr 1978 zeigt übermalte schwule Pornoszenen. Es wäre wohl auch nicht einmal für einen Superstar wie Warhol möglich gewesen, sie im puritanischen Amerika auszustellen.
Ein dritter Teil der großen Warhol-Präsentation nennt sich Defrosting the Icebox und re-inszeniert eine Ausstellung, die Warhol 1969 kuratierte. Für eine Wanderausstellung wählte er aus den Beständen des Museums of Art der Rhode Island School of Design Objekte aus, die man sonst bei Ausstellungen nicht sehen bekommt. Anstatt Kunstwerke zu präsentieren, wählte Warhol aus dem Depot Sammlungen von Schuhen, Bruchstücke antiker Statuen, ja selbst Stühle, die nur gesammelt wurden, weil sie als Ersatzteillager für wertvollere Objekte dienen sollten. Auftraggeber und Besucher*innen waren not amused. Diese bahnbrechende Ausstellung, in der Warhol den Wert von Kunst, die Gewichtung in Ausstellungen und Originalität in Frage stellt, wird mit Objekten aus den Sammlungen Kunsthistorischen Museums und des Weltmuseum reanacted – klug und witzig!
A glittering alternative ist eine sehenswerte Ausstellung. Wer glaubt, das Werk von Warhol zu kennen, wird immer wieder verblüfft sein. Und noch nie wurden die queeren Motive und Anspielungen, die Warhol aus Angst vor Ablehnung und Ausgrenzung als offen homosexueller Künstler, verschleierte, so offen thematisiert.Gemeinsam mit QWIEN bietet das mumok spezielle queere Führungen durch die Ausstellung an. Der erste Termin findet am 24. Oktober um 15.00 und um 16.30 Uhr statt. Die Zahl der Teilnehmer*innen ist coronabedingt auf zehn reduziert, Reservierung erforderlich.