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Aktuelle Forschung zur NS-Verfolgung

Kürzlich erschien in Einsicht 2020. Bulletin des Fritz Bauer Instituts eine Aufsatz der beiden Co-Leiter von QWIEN, Andreas Brunner und Hannes Sulzenbacher, in denen sie sich auf Basis ausgewählter Fallbeispiele mit der fortgesetzten Verfolgung homosexueller Männer durch die österreichischen Behörden in der Nachkriegszeit und der langjährigen Weigerung nach Wiedergutmachung widmen. In der Folge stellen wir die weiteren Beiträge aus Einsicht 2020 vor.

In vier Beiträgen wird dabei ein weiter zeitlicher aber auch geografischer Bogen gespannt. Mit der Verschärfung des §175 hebt die Untersuchung von Alexander Zinn an. 1935 wurde der Paragraf, der auch noch in den ersten Jahren des Dritten Reichs nur beischlafähnliche Handlungen zwischen Männern verfolgte. Der wichtigste Grund für die Verschärfung der Verfolgungsintensität war die Vorstellung, der die zentralen Entscheidungsträger wie Heinrich Himmler anhingen, dass männliche Jugendliche zur Homosexualität verführt werden und damit als „bevölkerungspolitische Blindgänger“ die NS-Bevölkerungspolitik unterlaufen könnten. „Das sind Staatsfeinde“ heißt folgerichtig auch Zinns Beitrag, der damit die Schlagzeile eines Artikels aus Das Schwarze Korps, der Zeitschrift der SS, aufnimmt.

Seine langjährigen Forschungen zusammenfassend zeigt Zinn, wie die NS-Machthaber ihr Verfolgungsprogramm in den Jahren nach der Verschärfung des §175 umsetzten und welche Kriterien für die Einweisung in ein Konzentrationslager entscheidend waren. Zinn widerspricht einem „Opferparadigma“, wie er es nennt, nur etwas 10% der Homosexuellen hätten im Dritten Reich unter Verfolgung leiden müssen. 90% hätten wohl Verfolgung fürchten müssen, andere wären aber auch Teil oder Nutznießer des NS-Regimes gewesen. Daher fordert er eine differenzierte Auseinandersetzung und keine „Simplifizierung und selektive Wahrnehmung“.

Generalstaatsanwalt Fritz Bauer (Foto:Wikipedia)

Fortgesetzte Verfolgung in der BRD

Kirsten Plötz analysiert die Debatten über das Sexualstrafrecht in der BRD der 1960er-Jahre. Die NS-Gesetzgebung wurde zwar in der Nachkriegszeit aufgehoben, nicht allerdings die Verschärfung des §175 von 1935, die bis 1969 unverändert in Kraft blieb. In der zweiten Hälfte der 1950er-Jahre erfolgte ein konservativer Backlash (wie auch in Österreich), der Vorstellungen von Sittlichkeit und das Verbot von „Schmutz und Schund“ ins Zentrum der Gesetzgebung stellte. Ehe und Familie als Grundpfeiler einer vermeintlichen Naturgesetzen folgenden Gesellschaftsordnung mussten geschützt werden. Das Rückzugsgefecht Konservativer gegen die Errungenschaften der Moderne und ihren freizügigen Vorstellungen von Sexualität, die von den Nationalsozialisten verdrängt wurden, machte auch vor Homosexualität nicht halt. So wurde auch eine Reform des §175 lange erfolgreich verhindert.

„Für die Homosexuellen ist das Dritte Reich noch nicht zu Ende“, stellte der jüdische Historiker Hans-Joachim Schoeps 1963 fest und forderte im Einklang mit zahlreichen Intellektuellen aus unterschiedlichen politischen Lagern, wie dem Frankfurter Generalstaatsanwalt Fritz Bauer, die Philosophen Theodor W. Adorno und Max Horkheimer oder dem Sexualwissenschaftler Hans Giese die Aufhebung der strafrechtlichen Verfolgung Homosexueller. Es sollte aber bis 1969 dauern, dass die politisch Verantwortlichen in der BRD zu einer Reform bereit waren. Und selbst dann entschied man sich nur zu einer Aufhebung der Verfolgung gleichgeschlechtlicher Beziehung unter Erwachsenen. Die verschärften Jugendschutzbestimmungen der Nazi blieben in Kraft. Das Bild des homosexuellen Jugendverderbers hatte seine Wirkkraft noch nicht verloren.

Politische Instrumentalisierung in der DDR

Dieses wirkte auch in der DDR weiter, wie Christian Könne in seinem Beitrag „Zur Geschichte von Homosexuellen, Trans- und Intergeschlechtlichen der DDR“ festhielt. Zwar hob 1968 die DDR, nachdem schon seit den 1950er-Jahren homosexuelle Handlungen weit weniger streng als in der BRD geahndet wurden, die strafrechtliche Verfolgung unter Erwachsenen auf, doch wurde ein eigener Jugendschutzparagraf eingeführt, der Verbindungen zwischen Erwachsenen und Jugendlichen kriminalisierte (womit in der DDR auch gleichgeschlechtliche Beziehungen zwischen Frauen wieder strafbar wurden). 1976 wurde der Geschlechtswechsel für Trans*Personen möglich. Trotz dieser fortschriftlichen Regelungen in rechtlichen Belangen, „Waren Staat und Gesellschaft der DDR in vielerlei Hinsicht homo- und transphob“, wie Könne feststellt.

So wurde der Vorwurf der Homosexualität politisch instrumentalisiert, der Westen in der DDR-Presse als sittlich verderbt, West-Berlin als Sammelpunkt der Strichjungen dargestellt. Homosexualität wurde mit Prostitution, Kriminalität, Drogenmissbrauch und Spionage in Verbindung gebracht. Auch die Haltung der Behörden gegenüber einer sich zaghaft entwickelnden homosexuellen Emanzipationsbewegung war ablehnend. Treffpunkte Homosexueller wurden von der Staatspolizei überwacht, Gruppen wie der „Sonntag-Club“ von der Stasi unterwandert und in ihrer öffentlichen Darstellung behindert. Just in der Nacht des Mauerfalls am 9. November 1989 hatte dann der erste Film der DDR Premiere, der sich offen mit Homosexualität auseinandersetzte – Coming Out von Heiner Carow.

Im österreichischen Beitrag werden zunächst einige Fälle von Wiener Landesgericht behandelt, die zeigen, dass die Nachkriegsjustiz die Verfolgung Homosexueller nahtlos fortsetzt und Urteile aus der NS-Zeit, die etwa auf Bewährung ausgestellt wurden, unhinterfragt vollstreckt. Zum Teil ist dasselbe Personal involviert, für Richter, die schon in der NS-Zeit Urteile sprachen, hatten sich zwar die politischen Rahmenbedingungen geändert, nicht aber die Rechtsprechung, denn sie urteilten nach wie vor nach dem seit 1852 gültigen §129Ib. Nachdem in der unmittelbaren Nachkriegszeit bis 1947 Homosexualität weder in der öffentlichen Wahrnehmung noch bei der Strafverfolgung große Aufmerksamkeit geschenkt wurde, kam es auch in Österreich – vergleichbar zur BRD – in den 1950er-Jahren zu einem konservativen Backlash, der zu einer erhöhten Verfolgung führte.

Wiedergutmachung kein Thema

An eine Wiedergutmachung und Anerkennung ihres Leidens konnten die Opfer der Verfolgung in der NS-Zeit nicht hoffen, galt ihr Verhalten doch nach wie vor als Verbrechen. Auch nach der Aufhebung des §129Ib im Jahr 1971 scheitern Bemühungen einzelner Opfer auf Wiedergutmachung an einer breiten Front der Ablehnung. Selbst die regierende SPÖ lehnte eine Aufnahme Homosexueller ins Opferfürsorgegesetz vehement ab und argumentierte mit er durchgängigen Verfolgung vor, während und nach der NS-Zeit. Dass der die ganze Zeit gültige §129Ib in der NS-Zeit wesentlich schärfer ausgelegt wurde, Konzentrationslagerhaft, die sogenannte freiwillige Kastration, ja selbst ausgesprochen Todesurteile, wurden nicht als nationalsozialistisches Sonderrecht anerkannt. Es sollte bis 2005 dauern, dass Homosexuelle offiziell als Opfer des Nationalsozialismus anerkannt wurden.

Die Beiträge in Einsicht 2020 geben einen kompakten Einblick in die Verfolgung Homosexueller Männer in der NS-Zeit, wobei die Verfolgung homosexueller Frauen nur im Beitrag von Kirsten Plötz am Rande angesprochen wird. Doch nehmen sie mit Ausnahme des Beitrags von Alexander Zinn, der sich auf die NS-Zeit konzentriert, diese nur als Ausgangspunkt. Im Zentrum der Betrachtungen steht aber die Fortdauer der Verfolgung und der lange Weg zu Anerkennung als NS-Opfer.

Die Publikation ist online auf der Website des Fritz-Bauer-Instituts abrufbar.

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