Mit den QWIEN lectures starten wir eine Reihe kurzer Vorträge, in denen wir wichtige historische Forschungsprojekte zu LGBTIQ-Themen vorstellen. Sie dienen als erste Information zu einem Thema, Literaturhinweise und Links in den begleitenden Texten sollen zu weiterer Recherche anregen und die Möglichkeit geben, sich in das jeweilige Thema weiter zu vertiefen.
Die Videos wurden produziert mit Unterstützung des Queeren Kleinprojektetopfs der Wiener Antidiskriminierungsstelle für gleichgeschlechtliche und Transgender Lebensweisen. Videodreh und -bearbeitung Oliver Maus.
Virginia Hagn: Die Briefe Isabellas von Parma an Marie Christine von Habsburg-Lothringen. Gleichgeschlechtlich orientierte Identitätskonstruktion zwischen Liebe, Körperlichkeit, Sexualität und Freundschaft
Die Briefe von Isabella von Parma an ihre Schwägerin Marie Christine von Habsburg geben Einblick in die Beziehung der beiden Frauen, der Vortrag setzt sie in den Kontext von Konzepten der Liebe, Freundschaft, Sexualität und Körperlichkeit im 18. Jahrhundert. Sie zeigen Marie Christine als eine zentrale Person in Isabellas Leben und die Beziehung zu ihr als eine sehr enge, emotionale und intime mit gewissen physischen Aspekten. Isabella definiert sich stark über diese geteilte Liebe und Freundschaft. Die Frage aber, ob Isabella und Marie Christine ein sexuelles Verhältnis – wie wir es heute verstehen – hatten, ist nicht nur kaum zu beantworten, sondern auch irrelevant, wenn es um die Frage nach gleichgeschlechtlich orientierter Identitätskonstruktion geht.
Literaturhinweise: Badinter, Elisabeth: Isabelle de Bourbon-Parme. „Je meurs d’amour pour toi“. Lettres à l’Archiduchesse Marie-Christine (1760-1763), Paris 2008; Hagn, Virginia: Freundschaftskult? Die Briefe der Isabella von Parma an ihre Schwägerin Marie Christine, in: Norman Domeier/Christian Mühling (Hg.): Homosexualität am Hof. Praktiken und Diskurse vom Mittelalter bis heute, Frankfurt/New York 2020, S. 303-324; Steidele, Angela: „Als wenn du mein Geliebter wärest“. Liebe und Begehren zwischen Frauen in der deutschsprachigen Literatur (1750-1850), Stuttgart 2003.
Virginia Hagn, BA BA, geb. 1990; Studium der Geschichtswissenschaften mit Schwerpunkt auf Geschlechter- und Sexualitätsgeschichte an der Universität Wien; Studium Public Management an der FH Campus Wien.
Videolink
Hannes Sulzenbacher: Die nationalsozialistische Verfolgung der Homosexuellen in Wien. Historische und rechtliche Grundlagen
Die Verfolgung homosexueller Männer und Frauen erreichte in der NS-Zeit ihren gewalttätigen Höhepunkt. Die Anerkennung als Opfer des NS-Terrors erfolgte ebenso spät wie die wissenschaftliche Aufarbeitung der Schicksale der Verfolgten. Der Vortrag gibt einen Überblick über die Struktur der Verfolgung und die spezifischen Maßnahmen, die in der NS-Zeit gegen homosexuelle Männer ergriffen wurden.
Literaturhinweise: Müller, Albert/Fleck, Christian: „Unzucht wider die Natur“. Gerichtliche Verfolgung der „Unzucht mit Personen gleichen Geschlechts“ in Österreich von den 1930er bis zu den 1950er Jahren, in: ÖZG – Österreichische Zeitschrift für Geschichtswissenschaften, 9 (1998), Heft 3, S. 400-422; QWIEN/WASt (Hg_innen): Zu Spät? Dimensionen des Gedenkens an homosexuelle und transgender Opfer des Nationalsozialismus. Dokumentation der Tagung Gedenken neu gedacht – Wien gedenkt vergessener Opfer. Zeithistorische, gesellschaftliche, queere und künstlerische Positionen, Wien 2015; Bauer, Manuela/Brunner, Andreas/Sulzenbacher, Hannes/Treiblmayr, Christopher: “Warme“ vor Gericht. Zu Selbst- und Fremdbildern homosexueller Männer in der Zeit des Nationalsozialismus in Österreich, in: : ÖZG – Österreichische Zeitschrift für Geschichtswissenschaften, 29 (2018), Heft 2, S. 86-110.
Mag. Hannes Sulzenbacher ist Co-Leiter von Zentrum QWIEN, Historiker und Ausstellungskurator. Neben zahlreichen Forschungsarbeiten zur Geschichte der Homosexualität, Kurator von Ausstellungen u.a. für die jüdischen Museen Hohenems und Augsburg; Kurator und Leiter des kuratorisch-/wissenschaftlichen Teams der Neuaufstellung der österreichischen Länderausstellung im Staatlichen Museum Auschwitz-Birkenau (Eröffnung 2021).
Videolink
Anna Hájková: Stieftöchter der NS-Geschichte: Neue Forschungsperspektiven zur Verfolgungsgeschichte der Lesben, 1933-1945
Die Verfolgung lesbischer Frauen in der NS-Zeit fand in der Geschichtswissenschaft lange nicht die gebührende Aufmerksamkeit, weil sich sowohl Verfolgungsintensität als auch die mit der Verfolgung verbundenen Stigmatisierungen zwischen homosexuellen Männern und Frauen unterscheiden. Lange fokusierte die Forschung auf die strafrechtliche Verfolgung, mit der man das Schicksal lesbischer Frauen in der NS-Zeit nur mangelhaft beschreiben kann. Anna Hájková stellt in ihrem Vortrag die wichtigsten aktuellen Forschungsergebnisse und -perspektiven zur Verfolgungsgeschichte von Lesben in den Jahren 1933-1945 ins Zentrum.
Literaturhinweise: Eine umfassende, kommentierte Literaturliste mit zahlreichen pdfs und weiterführenden Informationen zur Verfolgung lesbischer und Trans*Frauen in der NS-Zeit findet sich auf dem Blog „Sexuality and Holocaust“.
Dr. Anna Hájková ist Associate professor of modern European continental history an der University of Warwick. Zahlreiche Veröffentlichungen zur NS-Geschichte. Zuletzt „The Last Ghetto: An Everyday History of Theresienstadt“ (Oxford University Press 2020).
Videolink
Andreas Brunner: Erica Anderson und ihre queeren Netzwerke im Exil
In der Exilforschung wurden Genderfragen lange Zeit vernachlässigt, Fragen der sexuellen Orientierung völlig ausgeblendet. Der in Wien geborenen Fotografin und Kamerafrau Erika Kellner/Erica Anderson gelangt mit Hilfe eines queeren Netzwerks die Flucht aus Österreich. Aus rassischen Gründen verfolgt, war Großbritannien die erste Station, wo sie nicht nur von ihren bereits dort lebenden Freundinnen unterstützt wurde sondern ihr eine Schutzehe mit einem britischen Staatsbürger den Weg in Exil in den USA ebnete. Dort kann sie mit Unterstützung eines queeren Netzwerks eine Ausbildung zur 16mm-Kamerafrau machen und zur ersten professionellen 16mm-Kamerafrau der Filmgeschichte werden.
Literaturhinweise: Brunner, Andreas: Die queeren Netzwerke der Erica Anderson, in: Messinger, Irene/Prager, Katharina: Doing Gender in Exile. Geschlechterverhältnisse, Konstruktionen und Netzwerke in Bewegung, Münster 2019, S. 142-156.
Mag. Andreas Brunner ist Co-Leiter von Zentrum QWIEN; zahlreiche Publikationen zur LGBTI-Geschichte; Ausstellungskurator: zuletzt C-Kurator von „Sex in Wien. Lust. Kontrolle. Ungehorsam“ (Wienmuseum 2016) und „DIE STADT OHNE. Juden Muslime Flüchtlinge Ausländer“ (Wien, München, Augsburg 2018-2019); Stadtspaziergänge zu queeren Themen.
Videolink
Thomas Tretzmüller: Die Österreichische Liga für Menschenrechte und ihr Eintreten für die Rechte von Homosexuellen
Die 1926 gegründete Österreichische Liga für Menschenrechte (ÖLfM) ist die älteste Menschenrechtsorganisation dieses Landes. Ihr umfangreiches Archiv wird seit 2017 als Dauerleihgabe am Zentrum QWIEN aufbewahrt. Im Rahmen ihrer breit gefächerten Aktivitäten forderte die Liga schon früh die Reform von Paragraf 129 Ib des österreichischen Strafgesetzbuchs, der bis 1971 gleichgeschlechtliche sexuelle Handlungen verbot. Der Vortrag skizziert einige Eckpunkte dieses Eintretens für die Rechte von Homosexuellen.
Literaturhinweise: Treiblmayr, Christopher: »… mit dem heutigen Begriffe der Menschenrechte unvereinbar«. Zum Engagement der Österreichischen Liga für Menschenrechte für Homosexuelle, in: Mitteilungen der Magnus-Hirschfeld-Gesellschaft 55/56 (2016), S. 50-65; Weingand, Hans-Peter: »Auch in Oesterreich wird der Nacht einmal der Tag folgen«. Die Beseitigung des Totalverbots homosexueller Handlungen in Österreich durch die Strafrechtsreform 1971, in: Martin J. Gössl (Hrsg.): Von der Unzucht zum Menschenrecht. Eine Quellensammlung zu lesbisch-schwulen Themen in den Debatten des österreichischen Nationalrats von 1945 bis 2002, Graz 2011, S. 17–62; Schmale, Wolfgang/Treiblmayr, Christopher (Hrsg.): Human Rights Leagues in Europe (1898–2016), Stuttgart 2017. Weitere Informationen zum Archiv der ÖLfM hier.
Mag. Thomas Tretzmüller: Studium der Geschichte und Germanistik; 2018/19 Wissenschaftlicher Mitarbeiter der Österreichischen Liga für Menschenrechte (Aufarbeitung und Inventarisierung des Archivs der ÖLfM am Zentrum QWIEN) und 2019/20 Projektmitarbeiter am Zentrum QWIEN (Bearbeitung des Projekts Von Homoerotik zu Homophobie. Zur Dekonstruktion stereotyper Sexualitäts- bzw. Männlichkeitsbilder des „Orients“).
Videolink
Christopher Treiblmayr: Männlichkeit – Sexualität – „Orient“. Vorstellung eines Forschungsprojekts
Der Vortrag gibt Einblicke in ein vom Jubiläumsfonds der Österreichischen Nationalbank finanziertes Forschungsprojekt, das im Herbst 2018 am Zentrum QWIEN in Kooperation mit dem Institut für Geschichte der Universität Wien gestartet wurde. Dieses befasst sich unter dem Titel „Von Homoerotik zu Homophobie“ mit der Dekonstruktion stereotyper Sexualitäts- bzw. Männlichkeitsbilder des „Orients“ in Deutschland und Österreich von der Mitte des 19. Jahrhunderts bis zur jüngsten Vergangenheit.
Weitere Informationen … zu den Inhalten des Projekts und zum Projektteam finden sich auf der Website des Zentrums QWIEN hier.
MMMag. Dr. Christopher Treiblmayr leitet das Forschungsprojekt und ist Lektor sowie Habilitand am Institut für Geschichte der Universität Wien.
Videolink
Johanna Taufner: Ein Denkmal, das noch keines ist. Ein diskurshistorischer Blick auf das Wiener „Denkmal für die Männer und Frauen, die Opfer der Homosexuellen-Verfolgung in der NS-Zeit wurden“
Im Sommer 2020 wurde ein Siegerentwurf zur Errichtung des Denkmals für die Männer und Frauen, die Opfer der Homosexuellen-Verfolgung in der NS-Zeit wurden der Öffentlichkeit präsentiert. Ausgehend von der Frage „Warum werden im Jahr 2020 noch NS-Denkmäler errichtet?“ reflektiert Johanna Taufner in diesem Vortrag die lange Geschichte dieses Erinnerungszeichens und analysiert die Erinnerungszwecke die es erfüllen soll.
Literaturhinweise: Kirsch, Jan-Holger: Nationaler Mythos oder historische Trauer? Der Streit um ein zentrales „Holocaust-Mahnmal“ für die Berliner Republik. Köln/Weimar/Wien 2003; QWIEN/WASt (Hg_innen): Zu spät? Dimensionen des Gedenkens an homosexuelle und transgender Opfer des Nationalsozialismus. Dokumentation der Tagung Gedenken neu gedacht – Wien gedenkt vergessener Opfer. Zeithistorische, gesellschaftliche, queere und künstlerische Positionen. Wien 2015; Wodak, Ruth: The discourse-historical approach, in: Wodak, Ruth/Meyer, Michael (Hg_innen): Methods of Critical Discourse Analysis, London 2001, S. 63-94; Young, James: The texture of memory: Holocaust memorials in history, in: Erll, Astrid/Nünning, Ansgar (Hg_innen): A Companion to Cultural Memory Studies, Berlin/New York 2010, S. 61-74.
Johanna Taufner MA MSc ist Politikwissenschaftlerin und Soziologin und seit 2014 am Zentrum QWIEN tätig. Darüber hinaus ist sie seit 2018 wissenschaftliche Mitarbeiterin am Demokratiezentrum Wien. Ihre inhaltlichen Schwerpunkte sind Österreichische Erinnerungskultur und -politik, geschlechterreflektierte Politische Bildung sowie feministische Theorie. Sie promoviert an der Universität Wien im Themenfeld Politische Bildung und Geschlecht.
Videolink