Vor nunmehr über 40 Jahren wehrten sich Lesben, Schwule und Transvestiten im New Yorker Lokal Stonewall Inn in der Christopher Street gegen die üblichen Polizeirazzien. Ein Jahr später gedachte die Community dieses Ereignisses und demonstrierte im Village. 1969 und das Jahr darauf gelten seitdem als Wendepunkt der Lesben- und Schwulenemanzipation. In der ganzen (freien) Welt ziehen alljährlich Christopher Street-Paraden durch die Städte. Die Emanzipationsgeschichte von Lesben, Schwulen und Transgendern fand auch in Wien statt, wenn auch ein bisschen später und ein bisschen gemütlicher. Was bewegte Lesben, Schwule und Transgender in Wien? Wie fand Emanzipation statt? Wo trafen sich diejenigen, die ein Leben lebten, das bis 1971 illegal war?
Die Erinnerung an das Stonewall-Jubiläum war für uns aber nicht der einzige Grund, dieses Projekt zu starten. Die Welt befindet sich zu Zeit in einer Wirtschaftskrise. Schon einmal führten ökonomisch schwierige Zeiten zu schweren Menschenrechtsverletzungen, denen auch Homosexuelle zum Opfer fielen. Auch am Ende des ersten Jahrzehnts des 21. Jahrhunderts ist das Argument, dass Menschenrechts- und Gleichstellungsthemen so genannte “Luxusthemen” wären, wieder deutlich zu vernehmen. Auch deutliche artikulierte Ablehnung tritt vermehrt zutage. Gleichzeitig haben sich in den letzten Jahren junge Menschen in einer funktionierenden Community mit großer Infrastruktur eingelebt. Wie jung diese Community selbst aber erst ist, und wie hart diese Infrastruktur erkämpft wurde, ist dabei vielen völlig unbekannt. Das versuchen wir mit diesem Projekt zu ändern. Ich möchte mich ganz herzlich bei Andreas Brunner und Hannes Sulzenbacher von QWien, dem Zentrum für schwul/lesbische Kultur und Geschichte, und bei Stefan Sengstake, Stefan Sickert und Martin Ebner von queer Lounge, der Community-Sendung auf Okto, bedanken, die Stonewall in Wien von Anfang an mit großer Begeisterung und enormen Engagement begleiteten. QWien war für die historische Recherche und für die Suche nach Bildmaterial von unschätzbarer Bedeutung, queer Lounge sorgte für die filmische Umsetzung. Bedanken möchte ich mich aber auch beim Team der Grünen Andersrum, die das Projekt tatkräftig unterstützten, allem voran bei unserem Webdesigner und dem Art Director dieser Ausgabe, Willi Dolleschall, meinen Mitarbeitern Hansi Eitler und Peter Kraus, bei Ewa Dziedzic, sowie meiner Co-Sprecherin bei den Grünen Andersrum, Iris Hajiscek. (Aus der Einleitung von Marco Schreuder)
Permalink: <https://www.qwien.at/stonewall-in-wien/>
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Meine Nacht im Gefängnis, weil ich einen Mann küßte
Der gebürtige Linzer Günter Tolar kam 1957 nach Wien. In den frühen 1960er Jahren ging er eine Woche durch die Wiedener Heumühlgasse bis er sich endlich in die Alte Lampe traute, eine damalige “Verbotszone” wie er das heute älteste noch existierende Schwulenlokal nennt und wo er immer noch Stammgast ist. Nach einer Karriere als TV-Moderator outete er sich 1992 in der Öffentlichkeit und wurde später Vorsitzender der SoHo (Sozialdemokratie und Homosexualität).
Friedemann Hoflehner wurde in Oberösterreich geboren und 1967 in Linz festgenommen. Er wurde wegen Homosexualität zu schwerem Kerker verurteilt. Heute lebt er als Teppichweber in Wien.
Birgit Meinhard-Schiebel war seit den 1970er Jahren in feministischen Zusammenhängen organisiert, ohne sich aber formell einer Gruppe anzuschließen. Nach einer erfolgreichen Berufslaufbahn begann sie sich bei den Grünen im Senior_innenbereich zu engagieren. Dabei stellte sie ihr Lesbisch-Sein nie in den Vordergrund, verheimlichte es aber auch nicht, sondern stellte es immer als selbstverständlichen Bestandteil ihrer Persönlichkeit dar.
Keine schwule Bar wie die anderen
Rudy Stoiber wurde in Ybbs geboren und ging nach seiner Kindheit in den Jahren des Nationalsozialismus in Wien zur Schule. Nach einer Schauspielausbildung übersiedelte er Anfang der 1950er Jahre nach Kanada und schließlich in die USA. Dort arbeitete er von 1955-1980 als ORF Korrespondent, u. a. bei den Vereinten Nationen. Eine Reihe von Büchern und Dokumentationen (z.B. über Exil-Österreicher) erregten großes Aufsehen. Zuletzt erschien von ihm der autobiografische Roman Fridolin (2008).
Ali vom Savoy ist ein Wiener Szene-Urgestein. Ihm gehörte in den 1970er Jahren die Alte Lampe und bis vor kurzer Zeit das legendäre Café Savoy, das nicht nur für nostalgisch Veranlagte eine beliebter Treffpunkt ist. (Das Titelbild oben zeigt ihn rechts neben seiner „Freundin“ Archimeda.)
Wollt’s nicht eine Lesbengruppe machen?
Helga Pankratz wurde 1959 in Wiener Neustadt geboren und kam Mitte der 1970er Jahre nach Wien. Hier schloss sie sich schnell der Frauenbewegung an und gründete gemeinsam mit ihrer Freundin Doris Hauberger innerhalb der HOSI Wien eine Lesbengruppe. In den letzten Jahren engagierte sie sich besonders für den Frauentanzsport. Als Autorin und Kabarettistin schrieb sie zahlreiche Artikel und wurde vor allem mit ihrer Lyrik und Kurzprosa auch über den deutschsprachigen Raum hinaus bekannt.
Evelyn Mollik-Werner ging auch – oder gerade – als heterosexuelle Frau, in den 1970er Jahren in die Schwulenszene. Nicht nur auf Mykonos genoss sie das, denn ihr Stammlokal war das Motto im 5. Bezirk, eröffnet 1973. Ein Jahrzehnt später spielte sie auch im schwulen Film Wiener Brut mit.
Die Wiener Schwulen haben immer die Hos’n vollgehabt
Rudi Katzer kam in den 1970er Jahren nach Wien und schloss sich hier der gerade im Entstehen begriffenen Schwulenbewegung an. Er arbeitete ab 1976 bei der ersten Schwulengruppe Coming Out mit, war in die Gründung der HOSI involviert und bezog als einer der ersten ein Abbruchhaus an der Linken Wienzeile, das zur weithin sichtbaren Rosa Lila Villa werden sollte. Noch heute lebt er in dem Haus, das er mit seiner Arbeit und seinem Elan entscheidend mitprägte.
Ines Rieder wurde 1954 in Wien geboren, studierte Politologie und Ethnologie und ist seit den späten 1960er Jahren in der Frauen- und Lesbenbewegung aktiv. In den 1970er Jahren ging sie in die USA, erlebte in San Francisco den Aufbruch der Schwulen- und Lesbenbewegung aber auch die Katastrophe von Aids hautnah mit. Sie ist Autorin des ersten Buches über Frauen und Aids in den USA (Frauen sprechen über Aids, deutsch 1991). Weitere Bücher: Wer mit wem? (1994) und Heimliches Begehren (2000).
Dieter Schmutzer, 1953 in Wien geboren, machte nach seinem Studium der Theaterwissenschaften ein Diplom in Sexualberatung und –pädagogik. Er ist seit den ersten Tagen Mitglied der HOSI Wien und gründete deren Show-Truppe „HOSIsters“. Er engagierte sich auch früh in der Aids-Arbeit innerhalb der Aidshilfe Wien. Über die Szene hinaus wurde er durch seine Auftritte in der Ö3-Sex-Hotline bekannt. Heute arbeitet er für die Barbara-Karlich-Show.
Kurt Krickler wurde 1959 geboren und absolvierte ein Dolmetsch-Studium. Als Gründungsmitglied ist er heute noch in der HOSI Wien aktiv. Von 1997 bis 2003 war er als Vorstandsvorsitzender der ILGA-Europe tätig, seit September 2004 als Vorstandsmitglied der European Pride Organisers Organisation (EPOA). In Wien war er 1985 Mitbegründer und bis 1991 Mitarbeiter der Österreichischen Aids-Hilfe und ist auch heute noch im Aids-Bereich engagiert.
Waltraud Riegler ist eine der frühen Aktivistinnen der HOSI-Wien-Lesbengruppe und war in der 1990er Jahren auch Obfrau der HOSI Wien. Heute arbeitet sie als Erwachsenenbilderin in Wien.
Vom Abendkleid in die Lederkluft
Peter Holub, in Wien geboren, war in den 1970er und 1980er Jahren der Lederschneider der Stadt. Als Kostümschneider arbeitete er für alle großen Theater und Festspiele Österreichs. Gemeinsam mit seinem Partner Alkis Vlassakakis gründete und finanzierte er das Szenemagazin Bussi.
Eigentlich ganz ganz fürchterlich
Sepp Engelmaier wurde in Maissau, NÖ, geboren und lebt heute in Wien. Er gehört zur Gründergeneration der LMC Vienna (Leather & Motorbike Community) und setzte sich früh in der Aids-Arbeit ein, wobei er sein Talent als Grafiker nutzte und immer wieder Aufklärungsmaterial entwarf. Seit Jahren ist er als Künstler unter dem Namen Sepp of Vienna weit über die Grenzen Österreichs bekannt.
Kampf gegen sexuelle Diskriminierung
Helmut Graupner wurde 1965 in Tullnerbach geboren und zählt heute zu den führenden Juristen für LGBT-Rechte in Österreich, ja Europa. Er ist seit 1991 Präsident des Rechtkomitee Lambda (RKL) und hat in zahlreichen Verfahren Präzedenzfälle bis zur Urteilsfindung beim Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte gebracht. Zahlreiche Publikationen belegen seinen Ruf als Rechtsexperten in LGBT-Fragen weit über die Grenzen Österreichs hinaus.
In meiner Glaubensgemeinschaft nicht möglich
Johannes Wahala ist geweihter katholischer Priester, Theologe und Psychotherapeut. Er setzte sich als aktiver Pfarrer für die Anerkennung Homosexueller in der katholischen Kirche und für deren Segnung ein und wurde dafür vom Erzbischof von Wien, Kardinal Christoph Schönborn, suspendiert. Heute leitet er die Beratungsstelle Courage.
Dennis Beck gilt als „Mister Aids-Hilfe Wien“. Er leitete die Wiener Beratungsstelle jahrelang und kämpfte dafür, dass die Aids-Hilfe Wien 1997 ein eigenes Haus am Gumpendorfer Gürtel erhielt. Er ist nach wie vor Obmann der Aids Hilfe Wien.
Nadja (Boris) Schefzig studierte Philosophie an der Universität Wien. Projektleiterin (Diversity Management, Gebärdensprachprojekte, Diversityball) bei equalizent in Wien. Darüber hinaus seit ca. 15 Jahren Engagement im queer-feministischen Kunst- und Kulturbereich im Rahmen unterschiedlicher Formate wie z. B. Performance-Dramaturgie, Ausstellungskuratierung, Text- oder Eventproduktion.
Gerry Keszler wurde 1963 in Mödling geboren und erlernte eigentlich den Beruf des Feinmechanikers, bevor er beschloss, die Welt zu erkunden und sich in so illustren Berufen wie Opalschürfer oder Zirkuskoch durchs Leben schlug. Nach einer Ausbildung zum Visagisten übersiedelte er nach Paris und arbeitete u. a. für Thierry Mugler, Vivienne Westwood oder Jean-Paul Gaultier. 1993 erfand er den Life Ball, der heute zu den weltweit erfolgreichsten Charity-Veranstaltungen zählt.
Die Lesbe in der österreichischen Politik
Ulrike Lunacek studierte Dolmetschen und arbeitete bereits in den 1980er Jahren im Frauenhaus Innsbruck und später in der Frauensolidarität Wien. Durch ihr Engagement in der feministischen Frauenbewegung landete sie auch in der Lesbenpolitik. Ebenso engagierte sie sich in der Entwicklungspolitik und im Österreichischen Lesben- und Schwulenforum (ÖLSF). 1996 wurde sie Bundesgeschäftsführerin der Grünen, seit 1999 ist sie die erste und bisher einzige offen lesbische Nationalratsabgeordnete Österreichs. 2009 kandidierte sie als Spitzenkandidatin der Grünen für das Europäische Parlament und wurde Abgeordnete zum Europaparlament.
Identitäten radikal hinterfragen
Katharina Miko ist: Soziologin, Lektorin am Institut für Soziologie der Universität Wien, Projektleiterin und wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Forschungseinrichtung Kompetenzzentrum für soziale Arbeit am FH Campus Wien. Arbeitsschwerpunkte: Familiensoziologie, Gender Studies, qualitative Forschungsmethoden.
Wiener Höhepunkt der Stonewall-Erinnerung war Europride 2001 mit 250.000 Teilnehmer-_innen. Europride ist die europäische Dach-Parade, die jedes Jahr in einer anderen Stadt Europas stattfindet. Connie Lichtenegger, damals bekannt als Szenewirtin, und Veit Georg Schmidt, Buchhändler im Löwenherz, dem einzigen lesbisch-schwulen Buchladen Wiens, waren die beiden Co-Präsident_innen des austragenden Vereins CSD. Die Idee Europride 2001 entstand im Café Berg, wo wir die beiden auch trafen.
Die Suppe wird nicht so heiß gekocht wie gegessen
2005 begann Sabrina Andersrum mit einigen Freunden die erste BallCanCan-Party in Wien. Seit dieser Zeit gilt die Party als Anziehungspunkt vor allem von Lesben, Schwulen und Transgendern vom Balkan. Sabrina Andersrum wohnt in “Little Balkan”, wie sie den 10. Wiener Gemeindebezirk nennt und lebt als transidente Frau. Manchmal komme bei ihr mehr die Frau, manchmal mehr der Mann durch, betont Sabrina. Sie tritt lieber als Frau auf, beim Autofahren sei sie typischer Macho. Sie wurde 1970 als René und als Sohn einer slowakischen Mutter, eines serbischen Vaters, einer kroatischen Großmutter und eines serbischen Großvaters mit Roma-Hintergrund geboren und wuchs in Wien auf. Mit BallCanCan wurde sie zur Galionsfigur lesbischer, schwuler und transidenter Migrant_innen.
Schubladisieren tun eh die anderen
Sehen sich junge Lesben und Schwule als Teil der Emanzipationsgeschichte der Lesben, Schwulen und Transgender? Und wenn ja: wohin soll sich diese Geschichte künftig hin entwickeln? Diese Fragen stellten wir Sabrina Rotter, 24, Politikwissenschaftstudentin an der Universität Wien, und Marc Damm, 21, Grafikdesignstudent an der Universität für Angewandte Kunst. Am Ende des Gesprächs stellten wir fest, wie ähnlich der Wunsch junger Menschen heute und die Anliegen der ersten Demonstrant_innen eigentlich sind: Es geht um Sichtbarkeit. Vom Versteckspiel hatten 1969 Lesben, Schwule und Transgenders genug. Das scheint auch 2009 noch der Fall zu sein.