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Rettung aus der Hölle

Das Wiener Volkstheater eröffnete seine neue Spielzeit mit der Neff-Hommage Du bleibst bei mir von Felix Mitterer und erzählt damit eine kaum bekannte Geschichte lesbischer Liebe und Solidarität in der NS-Zeit. QWIEN hat das Stück gesehen.

Jüngeren wird die Volkstheaterschauspielerin Dorothea Neff kaum mehr als ein Name sein, beging man doch im Juli dieses Jahres bereits ihren 25. Todestag. Die Erinnerung an die darstellerischen Erfolge der Neff beginnen zu verblassen, nur wenige Film- und Tondokumente geben Zeugnis davon. Doch war Dorothea Neff mehr als Penthesilea, Elisabeth, Medea oder Mutter Courage, sie war auch eine mutige und liebende Frau. Und diese steht auf der Bühne des Volkstheaters im Mittelpunkt. Der Tiroler Dramatiker Felix Mitterer, durch Piefke Saga und zahlreiche Tatort Folgen bekannt, erhielt von Volkstheaterdirektor Michael Schottenberg den Auftrag für ein Stück, das die mutige Lebensgeschichte von Dorothea Neff nachzeichnet. Bis ins hohe Alter hatte sie über die Heldinnentat ihres Lebens geschwiegen, wie sie ihre jüdische Freundin Lilly Wolf vier Jahre lang in ihrer Wohnung in der Annagasse vor den Nazis versteckt hielt. Auch wie die Liebe zwischen ihr und Lilly daran zerbrach. Aber ihr wurde noch zu Lebzeiten Ehrung zuteil, für ihren Mut, wenn auch nicht für ihre Liebe, die sie alle Gefahren ertragen ließ. 1979 wurde Dorothea Neff als Gerechte unter den Völkern in den Ehrenhain der israelischen Gedenkstätte Yad Vashem aufgenommen, dafür dass sie unter Einsatz ihres eigenen Lebens ein jüdisches rettete. Sie ist damit eine von nur 88 ÖsterreicherInnen. Recht bieder biografisch folgt der Dramatiker Mitterer entscheidenden Szenen aus Dorothea Neffs Leben, zeigt die junge erfolgreiche Mimin durchaus mit einem divenhaften Einschlag, die Liebe der beiden Frauen ist trotz Einschränkungen durch die Nazis noch ungetrübt. Bis der Tag kommt, an dem Lilly Wolff auf einer Transportliste in die Vernichtung steht, und Dorothea Neff den entscheidenden Satz sagt: „Du bleibst bei mir.“ Von diesem Tag an sind die beiden Frauen nicht nur in Liebe miteinander verbunden, sondern auf Gedeih und Verderb aneinander gekettet. Fast vier Jahre lang durfte Lilly Wolff die Wohnung nicht verlassen, während die erfolgreiche Dorothea auf der Bühne stand, sich mit KollegInnen traf oder nur die die Straßen von Wien schweifen konnte. Diese unerträgliche Enge, in der sich Dorothea und Lilly befunden haben müssen, die Eine Normalität nach außen spielend, die Andere eingesperrt, lange Zeit mit sich allein, gelingt es Dramatiker und Regisseur nicht wirklich zu vermitteln. Die zwangsläufigen Konflikte der beiden Frauen geraten in den Dialogen mitunter in die gefährliche Nähe eines Zickenkriegs. Alleine die Brillanz von Andrea Eckert als Dorothea und ihrer Partnerin Martina Stilp als Lilly lassen diese Schwächen sofort vergessen. Entschärft und verschärft wird die Situation als zwei lesbische Freundinnen Lillys aus Köln, Mati und Meta, einziehen. Einerseits verhinderte Dorothea Neff durch die Einquartierung der beiden in Köln ausgebombten Frauen, dass Fremde zwangweise einquartiert werden, und Lilly war nicht mehr ganz nicht sich allein gelassen. Andererseits kam es zu Spannungen und Eifersüchteleien zwischen den Frauen.

Die historisch nicht eindeutig belegten Erpressungsversuche der Hausmeisterin, die in derbem Wienerisch ihren Teil vom ohnehin kargen Mahl fordert, geben dem Stück einen Zug zum Volkstheater, der nicht nötig ist und vom eigentlichen Drama ablenkt. Aber dem Stück gelingt etwas, was Felix Mitterer wohl gar nicht intendierte: Es zeigt einen Ausschnitt aus einer möglichen lesbischen Lebensrealität in der NS-Zeit. Dass drei (plus der geheimen Lilly) Frauen eine Wohnung teilten und sich damit lesbische Frauen einen gewissen privaten Schutzraum aufbauen konnten, war eine realistische (Über)Lebensmöglichkeit. Es ist schwer vorstellbar, dass drei oder vier schwule Männer eine Wohnung geteilt und den Alltag auch öffentlich gemeinsam bestritten hätten. Diese Männer wären unter einer wesentlich strengeren gesellschaftlichen Beobachtung gestanden, als eine WG aus (lesbischen) Frauen. Als endlich die Befreier in Person eines Offiziers der Roten Armee die vier Frauen von den Nazis befreien ist die Liebe zwischen Lilly und Dorothea zerbrochen. Als die Kumpane der russischen Offiziers zur Vergewaltigung der Frauen schreiten wollen, rettet sie Dorothea, weil es ihr überzeugend gelingt, sich durch das Beten des Kaddish in astreinem Ivrit, vor den Russen die Jüdin zu spielen. Hier mischt Mitterer, um seinem Stück mehr Pepp zu geben, historische Vorurteile vom Frauen vergewaltigenden russischen Soldaten [1] mit jüdischem Kitsch, den wiederum Andrea Eckert bravourös über die Bühnen bringt, wenn sie am Ende der Szene, nachdem sie ihre Freundinnen für ihre Darstellung der Jüdin beglückwünscht hatten, ihren Oneliner geben darf: „Ich bin doch eine Schauspielerin!“

Dorothea Neff hatte inzwischen eine neue Liebe gefunden, die jüngere Kollegin Eva Zilcher, mit der sie ihre weiteres Leben teilen sollte. Lilly Wolff ging 1947 in die USA. Ihr Trauma und die psychischen Probleme bis zu einer Einweisung in eine Klinik, erzählt Mitterer in wenigen kurzen Szenen, wie auch die Nachkrieggeschichte der Neff auf ihre baldige Erblindung reduziert wird. Nach dem großen Drama plätschert das Stücke eher aus, um in einer Huldigung an die Schauspielerin Dorothea Neff zu enden. Andrea Eckert schlüpft als Dorothea Neff in die Rolle der Mutter Courage in Gustav Mankers Inszenierung von Bert BrechtsMutter Courage und ihre Kinder, mit der ein von der reaktionäre Kulturkritik um Friedrich Torberg und Hans Weigel jahrelang betriebener Brecht-Boykott auf Wiener Bühnen 1963 gebrochen wurde. Und es gelingt prächtig. Andrea Eckert, die selbst bei Dorothea Neff Schauspielunterricht genommen hatte, erschafft über die Schwächen des Stücks hinweg eine spannende und ergreifende Bühnenfigur. Ausgespart bleibt im Stück und auch in den Ehrungen, warum Dorothea Neff erst sehr spät und nur auf Aufforderung von ihrer Geschichte erzählte. Einen wichtigen Teil mag Bescheidenheit gespielt habe, aber viel zentraler war wohl die gesellschaftliche Ächtung ihrer Liebe auch nach der NS-Zeit. Bis 1971 war ihre Beziehung zu Eva Zilcher vom Strafrecht bedroht, doch war die Angst vor sozialen Folgen eines zu offenen lesbischen Lebens wohl noch viel größer. Obwohl sie in ihrem Leben viele große Rolle gespielt hätte, meinte die bereits blinde Dorothea Neff in einem späten Interview, hätte sie im Leben die weit größere gespielt. Andrea Eckert ist bis auf weiteres als Dorothea Neff im WienerVolkstheaterzu sehen. PS: Die Historikerin Ines Rieder hält am 25. Oktober den VortragDurch Dick und Dünn. Lesbische U-Boote, Solidarität und Überleben in Kriegszeitenund erzählt dabei von weiteren lesbischen Frauen, die in der NS-Zeit ihre Freundinnen gerettet haben. Ort: Das Gugg, Heumühlgasse 14, 1040 Wien Zeit: 25. 10., 19.30 Uhr

[1] Es sollten an dieser Stelle keineswegs die ja auch tatsächlich passierten Vergewaltigungen relativiert sein, nur wenn die Befreiung Wiens sich Mitterers Stück als Abwesenheit der Nazis und Anwesenheit von Vergewaltigern darstellt, ist dies ein grobe Verkürzung, die in diesem Stück auch aufgesetzt wirkt.

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