In Wien soll noch in dieser Legislaturperiode ein Denkmal für die Homosexuellen und transgender Opfer des Nationalsozialismus errichtet werden. So steht es zumindest im rot-grünen Regierungsübereinkommen. So es dazu kommt, sollten die verantwortlichen PolitikerInnen den Sammelband „Homophobie und Devianz. Weibliche und männliche Homosexualität im Nationalsozialismus“ lesen. Damit sie wissen, was sie tun. Seit der Übergabe des Denkmals für die verfolgten Homosexuellen im Nationalsozialismus in Berlin an die Öffentlichkeit gab es Streit, vor allem unter Lesben und Schwulen einerseits, weil sich Erstere durch das Mahnmal, das ein Video mit einem küssenden Männerpaar zeigt, nicht repräsentiert fühlen, und zwischen Jenen, die für eine Adaptierung des Denkmals eingetreten sind, und einer Gruppe von HistorikerInnen, die von einer „Verfälschung des Gedenkens“, bisweilen sogar von „Geschichtsklitterung“ spaechen. Der von Insa Eschebach, der Leiterin der Mahn- und Gedenkstätte Ravensbrück, herausgegebene Tagungsband bietet aber weit mehr als die Grundlagen für die kontroverse Diskussion um das Berliner Denkmal, die ebenfalls konzise nachgezeichnet wird. Die Grundlagen der Verfolgung von Homosexuellen in der NS-Zeit legt Susanne zur Nieden in ihrem Aufsatz Der homosexuelle Staats- und Volksfeind dar, wobei sie sich auf die geistesgeschichtlichen Grundlagen, die bis ins Wilhelminische Kaiserreich und die Weimarer Republik zurückreichen, konzentriert. Mit der Ermordung Ernst Röhms aus machtpolitischen Gründen kommt es auch zu einer Radikalisierung der Homosexuellenverfolgung, da diese – ohne großen Widerspruch aus der Bevölkerung – als Begründung für die Beseitigung Röhms und weiterer politischer Gegner vorgeschoben wurde. Männliche Homosexualität wurde als „Seuche“ gebrandmarkt, da sie den nationalsozialistischen Männerstaat in seinen Grundfesten bedroht.
Verfolgung von Lesben Mit Claudia Schoppmanns Beitrag über die Verfolgung lesbischer Frauen sind wir bereits im Zentrum des Denkmalstreits angelangt, denn das „NS-Regime machte deutliche Unterschiede in der Repression homosexueller Männer einerseits und Frauen andererseits“. Strafrechtliche Verfolgung von Lesben war nur in Bereich des „angeschlossenen“ Österreich möglich, da der §129Ib geschlechtsneutral formuliert war und seit seiner Einführung 1853 (1804, wie Schoppmann schreibt, hieß er noch § 113) auch Frauen bei Vorliegen des Tatbestands „Unzucht wider die Natur“ pönalisierte. Schoppmann zeigt aber, dass auch im sogenannten „Altreich“ lesbische Frauen verfolgt, inhaftiert und in Konzentrationslager verschleppt wurden. Wie sie auch in einem zweiten Beitrag anhand von vier Biografien zeigt, wurden lesbische Frauen im KZ Ravensbrück als politische Häftlinge geführt, zusätzlich aber auch in den Lagerkarteien als „lesbisch“ gekennzeichnet. Dass man gerade bei der Verfolgung lesbischer Frauen im Nationalsozialismus nicht nur die reine strafrechtliche Dimension beachten muss, sondern sich grundsätzlich Gedanken über den „Begriff Verfolgung“ machen muss, zeigt Jens Dobler in seinem Aufsatz über Unzucht und Kuppelei. Weder in der Geschichtswissenschaft noch in der Soziologie ist der Begriff Verfolgung ausreichend definiert, es zeigt sich aber anhand der erhaltenen Quellen, dass die Nationalsozialisten Lesben sehr wohl verfolgten, wenn auch nicht unter dem Titel des §175, der in Nazideutschland nur männliche Homosexualität strafrechtlich ahndete, sondern unter anderen Tatbeständen, wie Kuppelei oder einem schwammig definierten Unzuchts- bzw. Sittlichkeitsbegriff. So kommt Jens Dobler zum Schluss: „Wenn wir die Maßnahmen zur Unterbindung, Unterdrückung und Einschüchterung von Lesben betrachten und noch dazu eine generalpräventive Bedeutung des Paragrafen 175 sehen, die sich immer auch auf weibliche Homosexualität erstreckte, kann man zu keinem anderen Ergebnis kommen, als dass Lesben ebenso eine Verfolgtengruppe waren wie Schwule.“Homophobe Stereotypen
Neben dem bereits erwähnten biografischen Beitrag von Claudia Schoppmann über vier lesbische Frauen im KZ Ravensbrück beschäftigt sich auch Insa Eschebach mit weiblicher Homosexualität im Frauenlager Ravensbrück, insbesondere mit den homophoben Stigmatisierungen, die lesbische Frauen in der Erinnerungsliteratur von ehemaligen KZ-Insassinnen erhalten haben. Immer wieder wird lesbische Sexualität in einen Zusammenhang von Gewalt und Prostitution gebracht, wobei es vor allem auch zu einer „retrospektiven Sexualisierung des SS-Personals und der Funktionshäftlinge“ kommt. Dass die „Männer mit dem rosa Winkel“ in den Konzentrationslagern nach den rassisch verfolgten Juden und Roma und Sinti zur untersten Häftlingskategorie mit einer der höchsten Todesraten zählten, ist aus Untersuchungen zu einzelnen KZs bereits bekannt, eindrucksvoll erläutert Alexander Zinn aber die homophoben Motive, die hinter dieser prekären Situation der homosexuellen Häftlinge steckten. Keiner konsistenten Gruppe wie den unterschiedlichen politischen Gruppierungen oder den „Bibelforschern“ angehörend, konnten die Schwulen innerhalb des Lagers keine Selbstorganisation schaffen, die ihnen das Leben und Überleben erleichtert hätte. Einerseits waren sie der Willkür des Wachpersonals und der SS ausgeliefert, andererseits hielt sich unter den politischen Häftlingen selbst im KZ das homophobe Stereotyp des „schwulen Nazi“, auch wenn – wie Alexander Zinn festhält – die „angebliche Verbindung von SS, Sadismus und Homosexualität […] nur wenig mit der Realität zu tun“ hatte. Es waren vor allem die (kommunistischen) Antifaschisten, die im Lager (vermeintliche) Homosexualität als Mittel der Denunziation einsetzten aber auch bis weit in die Nachkriegszeit die Aufarbeitung der NS-Verbrechen an Homosexuellen verhinderten, weil die Stigmatisierung und Diskreditierung des politischen Gegners als homosexuell eine „altbewährte Strategie“ im politischen Kampf darstellte. „Rückgriffe auf etablierte Denunziationsmuster“ stellt auch Klaus Müller in seinem Aufsatz über Gedenken und Verachtung fest, wenn er den gesellschaftlichen Umgang mit der Homosexuellenverfolgung thematisiert. Den Umgang mit der „Homosexuellenfrage“ nach 1945 sieht er von zwei Perspektiven maßgeblich geprägt: „dem Mythos einer kausalen Verbindung zwischen Homosexualität und Faschismus und der Weigerung, die nationalsozialistische Homosexuellenverfolgung als Unrecht anzuerkennen.“ Er betont, dass in den Theoriemodellen von Psychoanalytikern wie Wilhelm Reich oder Erich Fromm bis hin zu den „Männerphantasien“ von Klaus Theweleit vor allem aus einer linken Perspektive „ein kausaler Zusammenhang zwischen faschistischen Männerbünden, Homosexualität und Gewalt unterstellt wird“. Ein zentrales Motiv für die Diffamierung Homosexueller in der Nachkriegsgesellschaft, die auch die Aufarbeitung der Naziverbrechen an Schwulen verhinderte, lässt Müller aber unbeachtet: den generellen Pädophilieverdacht[1], dem männliche Homosexuelle unterlagen und oft noch unterliegen.
Totgeschlagen – Totgeschwiegen Dank des Einsatzes der Homosexuellen Initiativen Österreichs wurde 1984 in Mauthausen die weltweit erste Gedenktafel zur Erinnerung an die homosexuellen Opfer des Nationalsozialismus gegen den Widerstand zahlreicher Vertreter anderer Opfergruppen mit der Inschrift Totgeschlagen – Totgeschwiegen enthüllt, dass es seit 2007 aber auch in Wien ein Mahnmal für diese gibt, entspricht aber nicht den Tatsachen. Dass der rosa Winkel vom „nationalsozialistischen Kennzeichen des Untermenschen zum kollektiv-stolzen Erkennungszeichen Homosexueller in den 1970er- und 1980er-Jahren“ wurde, also die „Wahl eines Nazi-Symbols als Identifikationszeichen“, erscheint Müller „seltsam geschichtslos“, weil es als „abstraktes Zeichen“ zwar ein „politisches Signal“ sei, aber nicht an die erinnere, „die gezwungen worden waren, ihn zu tragen“. Müller unterstellt in diesem Zusammenhang, dass die Adaptierung dieses Symbols der Unterdrückung „sicherlich etwas über das Gefühl der Bedrohung aus[sagt], das noch in den 1970er-Jahren präsent war“, vergisst dabei aber, dass die Umkehrung des rosa Winkel auch mit einer Umwertung von Diskriminierung und Verfolgung in einem breiteren Zusammenhang zu interpretieren ist. So wurde auch in den 1970er-Jahren die als Schimpfwort gebrauchte Bezeichnung „schwul“ gegen den Widerstand konservativer Teile der Schwulenbewegung von ihren radikaleren Vertretern zu einem Begriff des Stolzes umgedeutet. Sowohl Müller als auch Thomas Rahe betonen, dass „die etablierte Geschichtswissenschaft jahrzehntelang kein Interesse an der Erforschung der NS-Homosexuellenverfolgung hatte“, und dass sie damit auch lange Zeit aus dem Kanon des Gedenkens ausgeschlossen waren. Da Homosexualität sowohl im Deutschland als auch im Österreich der Nachkriegszeit strafbar blieb, homosexuelle Opfer daher auch keine „Lobby“ hatten und die Homosexuellenorganisationen, die sich für das Gedenken einsetzten, sich „nicht aus dem Kreis der unmittelbar Verfolgten selbst“ zusammensetzten, hatten sie auch nicht „deren persönliches moralisches Gewicht“, um die Verfolgungsgeschichte von Lesben und Schwulen an den einzelnen Gedenkorten entsprechend zu thematisieren. Diese besondere Situation hat auch Auswirkungen auf die Formen des Gedenkens, die auch für die geplante Errichtung eines Denkmals in Wien zu beachten wären.
Formen des Gedenkens Sind die homosexuellen Opfer des Nationalsozialismus „für die nachfolgenden Generationen der Homosexuellen die Erben ihrer Ängste“? Ist es legitim, wenn „Identität heutiger Homosexueller (in Deutschland) durch das Trauma der nationalsozialistischen Verfolgung mitbestimmt“ ist, oder bedeutet das Gedenken an verfolgte Lesben und Schwule im Nationalsozialismus, wenn es heute als identitätsstiftend politisch eingesetzt wird, einen Missbrauch von Geschichte? Mit Blick auf die Frauen von Ravensbrück zeigt Insa Eschebach in ihrem Beitrag, wie stark auch das Gedenken an verfolgte Frauen von einem im Grunde patriarchale Denken geprägt war. Frauen wurde lange Zeit zuallererst als Mütter gedacht, deviante Frauen, „sogenannte asoziale Häftlinge, lesbische Frauen, Kriminelle, Prostituierte, Jüdinnen, Sinti und Roma, Zeugen Jehovas und viele andere mehr wurden zur ausgesparten Geschichte Ravensbrücks“. Dass es inzwischen auch zu einem Wechsel der Geschlechterstereotypen im Gedenken kam, zeigt sie an der Geschichte des Gedenkens in einem bis in die 1990er-Jahre vergessenen Teil des Lagers Ravensbrück: des „Jugendschutzlagers Uckermark“, wo heute auf Initiative engagierter Frauen und Lesben vor allem „unangepasster Weiblichkeit“ gedacht wird. Womit wir beim heutigen Gedenken angelangt wären. Stefanie Endlich stellt die Genese des Berliner Homosexuellen-Denkmals dar und setzt es in einen Zusammenhang mit anderen nationalen Denkmälern der deutschen Gedenkkultur. In Bezug auf das geplante Wiener Denkmal zeigt sich sofort ein großer Unterschied. Ist das Gedenken in Deutschland sowohl beim Denkmal für die ermordeten Juden Europas, dem noch zu verwirklichenden Mahnmal für die ermordeten Sinti und Roma aber auch dem 2008 eröffneten Homosexuellen-Denkmal ein nationales Unternehmen, bleibt Gedenken in Österreich auf Wien beschränkt. Weder gibt es in Österreich, dem Land der Kriegerdenkmäler, einen nationalen Konsens zum Gedenken an die Opfer des Nationalsozialismus noch einen Willen dazu. Es ist das Land bzw. die Stadt Wien, die sich des Gedenkens annehmen – sowohl was die ermordeten österreichischen Jüdinnen und Juden anbelangt, als auch das anderer Opfergruppen. Wer gedenkt wem? Deutlich zeigt Stefanie Endlich, wie die Ausschreibungsbedingungen für den Wettbewerb zum Berliner Mahnmal, aus dem schließlich das verwirklichte Projekt des Künstlerduos Michael Elmgreen und Ingar Dragset hervorging, die Diskussionen, die es bis heute um das Mahnmal gibt, präjudiziert haben. Dass die Betonstele, die auf das auf der gegenüberliegenden Straßenseite liegende Mahnmal für die ermordeten europäischen Juden Bezug nimmt, das Video eines küssenden Männerpaares zeigt, führte umgehend zu einem Protestschrei von Lesben, die sich unter der Federführung von Alice Schwarzer und ihrer Zeitschrift EMMA aus dem Gedenken ausgeschlossen fühlten. Ist das Berliner Homosexuellen-Denkmal überhaupt „Ein Denkmal für Schwule UND Lesben?“ fragt berechtigterweise Corinna Tomberger in ihrem Aufsatz. Als die Politik auf den Druck von Seite der Frauen reagierte und den Künstlern eine Bespielung mit wechselnden Filmen abrang, war weiterer Streit bereits auf dem Weg: HistorikerInnen protestierten gegen eine „Verfälschung der Geschichte“, da es „historisch nicht zu belegen [sei], dass lesbische Frauen im Nationalsozialismus individueller Verfolgung aufgrund ihrer sexuellen Orientierung ausgesetzt gewesen seien.“
Seit Jänner 2012 gibt es einen neuen Film im Inneren des Denkmals, der insgesamt fünf Kussszenen zeigt, darunter zwei lesbische. Tomberger kritisiert daran, dass auch dieser Film sich darauf beschränkt, „lesbische Frauen in eine Rahmung einzupassen, die sich an schwuler Geschichte orientiert“ und dass auch der zweite Film keinen „Ausweg aus dem Dilemma [bietet], das dem Denkmal aufgrund seiner Widmung strukturell innewohnt“. Zwei Grundprobleme sind dabei nicht gelöst und können wahrscheinlich auch nicht gelöst werden: Wie thematisiert man in und mit einem Denkmal die historisch belegte unterschiedliche Qualität und Quantität der Verfolgung von Schwulen und Lesben einerseits und wie wirkt man einer identitätspolitischen Vereinnahmung des Gedenkens entgegen, wenn man in und mit einem Denkmal, das die Verfolgung im Nationalsozialismus zum Thema hat, auch auf gegenwärtige Diskriminierungen verweisen will. Für Wien stellt sich zudem eine weitere schwer zu lösende Frage. Der Arbeitstitel für ein Wiener Denkmal ist: Mahnmal für die homosexuellen und transgender Opfer des Nationalsozialismus. In politischer Überkorrektheit hat man von Seiten der Stadt Wien zu den ohnehin schon schwer unter einem Deckel vereinbaren Opfergruppen der Schwulen und Lesben eine dritte hinzugefügt, die es im Nationalsozialismus als verfolgte „Kategorie“ gar nicht gab, die Transgender, und die deshalb auch keiner nachweisbaren Verfolgung ausgesetzt waren. Zwar sind einzelne Schicksale nachweisbar, die man heute als Transgender bezeichnen würde, aber rechtfertigen diese eine Benennung als nationalsozialistische Opferkategorie? Öffnet man das Gedenken hingegen für eine breite Gruppe an Verfolgten, bringt auch einen Gegenwartsbezug ein, stellt sich die Frage, ob nicht das Gedenken an die spezifische nationalsozialistische Verfolgung verwässert wird. Plant man ein Denkmal, das sich – und das wäre ja ein diskussionswürdige Position – dem Verfolgungskontinuum von Schwulen, Lesben und Transgender in der österreichischen Geschichte widmet, müsste man im Grunde eine Verfolgungsgeschichte bis zur Gegenwart erzählen. In dieser wäre der Nationalsozialismus dann „nur“ die brutalste und gewalttätigste Episode. Dann sollte man es aber auch anders benennen. Beide Filme des Berliner Denkmals sind hier zu sehen. Insa Eschebach (Hrsg.): Homophobie und Devianz. Weibliche und männliche Homosexualität im Nationalsozialismus. Berlin: Metropol Verlag 2012(erhältlich bei Löwenherz)